Wieviel Streik steckt im Frauenstreik?

In der Schweiz hat ein über­par­tei­li­ches Frau­en­netz­werk zum Frau­en­streik 2019 auf­ge­ru­fen. Der Streik­auf­ruf gilt nicht nur am Ar­beits­platz, son­dern auch zu Hau­se. In den Ma­ni­fes­ten wer­den ei­ner­seits all­ge­mei­ne, eher po­li­ti­sche For­de­run­gen ge­stellt (z.B. Ren­ten, wel­che ein Le­ben in Wür­de er­mög­li­chen, An­er­ken­nung und ge­rech­te Ver­tei­lung der Haus- und Sor­ge­ar­beit und Aus­bau von gu­ten öf­fent­li­chen Dienst­leis­tun­gen für die Be­treu­ung von al­ten und/oder hilfs­be­dürf­ti­gen Menschen). 

An­der­seits wer­den auch mehr oder we­ni­ger di­rek­te For­de­run­gen an Ar­beit­ge­be­rin­nen ge­rich­tet (z.B. Lohn­gleich­heit, mehr Lohn, so­wie Auf­wer­tung der «Frau­en­be­ru­fe», län­ge­rer Mut­ter­schafts­ur­laub, El­tern­ur­laub, Ur­laub im Fal­le kran­ker Kin­der und An­ge­hö­ri­ger und Re­duk­ti­on der Ar­beits­zeit). Be­streikt wer­den sol­len die be­zahl­te Ar­beit, die Haus­ar­beit, die Sor­ge­ar­beit, die Schu­le und der Kon­sum. Aus ar­beits- und per­so­nal­recht­li­cher Sicht in­ter­es­siert vor al­lem die Fra­ge, ob es sich beim Frau­en­streik um ei­nen so­ge­nannt «zu­läs­si­gen Streik» han­delt und da­mit, ob die dar­an Teil­neh­men­den vor all­fäl­li­gen Sank­tio­nen ge­schützt sind.

Abs­tract: Der Frau­en­streik 2019 kann im Gan­zen nicht als Streik im ar­beits­recht­li­chen Sinn be­zeich­net wer­den. Bei je­nen Ak­tio­nen, wel­che die Vor­aus­set­zun­gen ei­nes zu­läs­si­gen Streiks im recht­li­chen Sin­ne er­fül­len, be­steht ein ver­fas­sungs­mäs­sig ga­ran­tier­tes Streik­recht und von Ar­beit­ge­be­rin­nen­sei­te dür­fen kei­ne Sank­tio­nen er­fol­gen. Wenn die Vor­aus­set­zun­gen nicht er­füllt sind, müs­sen sich die «strei­ken­den» Ar­beit­neh­me­rin­nen be­wusst sein, dass ar­beits­recht­li­che Mass­nah­men von Sei­ten der Ar­beit­ge­be­rin­nen grund­sätz­lich zu­läs­sig sind.

Was ist ein Streik?

Streik im ar­beits­recht­li­chen Sinn meint die «kol­lek­ti­ve Ver­wei­ge­rung der ge­schul­de­ten Ar­beits­leis­tung zum Zwe­cke der Durch­set­zung von For­de­run­gen nach be­stimm­ten Ar­beits­be­din­gun­gen ge­gen­über ei­nem oder meh­re­ren Ar­beit­ge­bern» (BGE 125 III 277, 283). Auf das Recht im ar­beits­recht­li­chen Sinn zu strei­ken be­steht ein ver­fas­sungs­mäs­si­ger An­spruch (Art. 28 Abs. 3 BV). Die Aus­übung die­ses Rechts ist in en­gen Gren­zen mög­lich, näm­lich wenn die fol­gen­den Vor­aus­set­zun­gen er­füllt sind:

  • We­der Ver­hand­lung noch Ver­mitt­lung ha­ben zum Er­folg geführt. 
  • Der Streik muss Ar­beits­be­zie­hun­gen betreffen.
  • Der Streik darf kei­ne Frie­dens­pflicht verletzen.
  • Es darf kein Streik­ver­bot für die Ka­te­go­rie der Strei­ken­den existieren.
  • Der recht­mäs­si­ge Streik muss von ei­ner Ge­werk­schaft or­ga­ni­siert wer­den. Es darf sich nicht um ei­nen «wil­den» Streik handeln.

Das Er­for­der­nis nach dem Be­zug zum Ar­beits­ver­hält­nis be­deu­tet, dass ein Streik ein – meist durch Ge­samt­ar­beits­ver­trag (GAV) – re­gel­ba­res Ziel ver­fol­gen muss, schliess­lich müs­sen die For­de­run­gen er­füllt und ver­bind­lich ge­re­gelt wer­den kön­nen. Bei öf­fent­lich-recht­li­chen An­ge­stell­ten wä­re als Streik­ziel auch die Än­de­rung von Ver­ord­nun­gen oder an­de­ren Aus­füh­rungs­er­las­sen zulässig.



Po­li­ti­sche Streiks, die kei­nen Be­zug zum Ar­beit­ge­ber ha­ben, sind unzulässig.

Un­zu­läs­sig ist ein Streik auch dann, wenn ei­ne Frie­dens­pflicht be­steht. Frie­dens­pflicht be­deu­tet, dass Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer ver­ein­bart ha­ben, dass die Ar­beit­neh­men­den kei­ne Streik­mass­nah­men er­grei­fen dür­fen. Im GAV SBB Car­go 2019 heisst es bei­spiels­wei­se: «Die Ver­trags­par­tei­en ver­pflich­ten sich, wäh­rend der ge­sam­ten Ver­trags­dau­er den ab­so­lu­ten Ar­beits­frie­den zu wah­ren und auf je­de ar­beits­stö­ren­de Mass­nah­me wie Streik, Warn­streik, streik­ähn­li­che Mass­nah­men, Boy­kott oder Aus­sper­rung zu ver­zich­ten.» Ein Streik­ver­bot könn­te bei­spiels­wei­se für Po­li­zis­tin­nen und an­de­re Er­brin­ge­rin­nen von un­er­läss­li­che Dienst­leis­tun­gen bestehen.

Ist der Streik zu­läs­sig, dür­fen Ar­beit­ge­be­rin­nen im Fal­le ei­ner Teil­nah­me an ei­nem sol­chen Streik kei­ne Mass­nah­men ge­gen die Ar­beit­neh­me­rin­nen er­grei­fen, ih­nen dürf­ten kei­ne Nach­tei­le in Be­zug auf das Ar­beits­ver­hält­nis dro­hen. Die (un­ent­schul­dig­te) Ab­we­sen­heit wä­re hin­zu­neh­men. Wäh­rend der Ab­we­sen­heit ist aber kein Lohn ge­schul­det. Für die Dau­er ei­nes recht­mäs­si­gen Streiks wird das Ar­beits­ver­hält­nis in sei­nen Haupt­pflich­ten (Ar­beits- und Lohn­zah­lungs­pflicht) suspendiert.

Frauenstreik 2019 als politischer Protest?

Im Fal­le des Frau­en­streiks 2019 gilt der Streik­auf­ruf nicht nur für den Ar­beits­platz, son­dern auch zu Hau­se, wo ei­ne Ar­beit­ge­be­rin fehlt. Aus­ser­dem wer­den nicht nur be­stimm­te Ar­beits­be­din­gun­gen ein­ge­for­dert, son­dern auch po­li­ti­sche For­de­run­gen ge­stellt. Min­des­tens in Be­zug auf die ar­beits­recht­li­chen For­de­run­gen könn­te ein Streik­recht be­stehen, so­fern re­gel­ba­re Zie­le ver­folgt wer­den, Ver­hand­lung und Ver­mitt­lung nicht zum Er­folg ge­führt ha­ben und wenn dem Streik kei­ne Frie­dens­pflicht ent­ge­gen­steht. Da sich der Frau­en­streik 2019 aber ge­gen ei­ne Viel­zahl von un­ter­schied­li­chen Ar­beit­ge­be­rin­nen rich­tet, die Ar­beits­ver­hält­nis­se un­ter­schied­lich (pri­vat­recht­lich und öf­fent­lich-recht­lich) aus­ge­stal­tet sind und ei­ne Viel­zahl von nicht ar­beits­recht­li­chen aber po­li­ti­schen For­de­run­gen ge­stellt wer­den, lässt sich der Frau­en­streik 2019 im Gan­zen nicht als Streik im Rechts­sin­ne be­grei­fen. Viel­mehr ist der Frau­en­streik 2019 ein po­li­ti­scher Pro­test, mit wel­chem ne­ben ar­beits­platz­be­zo­ge­nen An­lie­gen auch wei­te­re zen­tra­le, zur Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­rech­ti­gung un­ab­ding­ba­re For­de­run­gen in die Öf­fent­lich­keit ge­tra­gen werden.

Es sei an die­ser Stel­le er­wähnt, dass die Lohn­gleich­heit – ein zen­tra­les An­lie­gen des Frau­en­streiks – trotz Gleich­stel­lungs­ge­setz, wor­in die­se ge­setz­lich fest­ge­hal­ten ist, noch nicht er­reicht ist. Ge­mäss Bun­des­amt für Sta­tis­tik be­trug im Jahr 2016 der Lohn­un­ter­schied zwi­schen Frau­en und Män­nern in der Ge­samt­wirt­schaft 18,3 %, wo­bei 44,1 % da­von nicht er­klärt wer­den kön­nen. Die rest­li­chen 55,9 % er­ge­ben sich auf­grund von Dienst­jah­ren, Aus­bil­dungs­ni­veau, An­for­de­rungs­ni­veau, Bran­che und wei­te­ren Faktoren.

Fazit

Ju­ris­tisch lässt sich der Frau­en­streik 2019 oder bes­ser die Teil­nah­me von Frau­en dar­an nicht in je­dem Fall als zu­läs­si­ger Streik be­ur­tei­len. Da­mit ist ei­ne all­fäl­li­ge Ar­beits­nie­der­le­gung nicht im­mer vom Streik­recht er­fasst. Ar­beit­neh­me­rin­nen ist des­halb zu ra­ten, der Ar­beit­ge­be­rin die Ab­sicht mit­zu­tei­len und für die Teil­nah­me ent­we­der Fe­ri­en zu be­zie­hen, Mehr­stun­den zu kom­pen­sie­ren oder al­len­falls um un­be­sol­de­ten Ur­laub zu bit­ten. Soll­te ei­ne sol­che Lö­sung nicht mög­lich sein, muss sich die gleich­wohl am Streik teil­neh­men­de Ar­beit­neh­me­rin be­wusst sein, dass von Ar­beit­ge­be­rin­nen­sei­te grund­sätz­lich ar­beits­recht­li­che Mass­nah­men zu­läs­sig wä­ren, wenn die Ar­beits­nie­der­le­gung nicht vom Streik­recht er­fasst wird. Ob sol­che dann tat­säch­lich er­grif­fen wer­den, ist aber ei­ne an­de­re Frage.

Über den Autor/die Autorin

Michael Oberdorfer

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