Die Arbeitslosenkasse im personalrechtlichen Rechtsmittelverfahren

Ge­mäss Ar­beits­lo­sen­ver­si­che­rungs­ge­setz ge­hen strit­ti­ge Lohn­an­sprü­che der Ar­beit­neh­me­rin auf die Ar­beits­lo­sen­kas­se über, wenn und so­weit die­se ihr für die glei­che Pe­ri­ode Ar­beits­lo­sen­tag­gel­der be­zahlt. In Klä­rung sei­ner Recht­spre­chung be­ant­wor­tet das Ver­wal­tungs­ge­richt Zü­rich in ei­nem neue­ren Ent­scheid die Fra­ge, wie und zu wel­chem Zeit­punkt die Ar­beits­lo­sen­kas­se in den Pro­zess ein­tritt. Es ver­neint ei­nen di­rek­ten Über­gang der pro­zes­sua­len Stel­lung im Ver­fah­ren und kommt zum Schluss, dass es für den Pro­zess- bzw. Ver­fah­rens­ein­tritt ei­ner Er­klä­rung ge­gen­über der Ar­beit­neh­me­rin be­dür­fe. Bis da­hin füh­re die­se das Ver­fah­ren in so­ge­nann­ter Pro­zess­stand­schaft weiter.

Abs­tract: Ei­ne Ar­beit­neh­me­rin ist zur Gel­tend­ma­chung der Ent­schä­di­gung we­gen frist­lo­ser Ent­las­sung in vol­ler Hö­he le­gi­ti­miert, auch wenn ih­re For­de­rung teil­wei­se auf die Ar­beits­lo­sen­kas­se über­ging. Ge­mäss dem Ver­wal­tungs­ge­richt Zü­rich ge­hen bei der Sub­ro­ga­ti­on nach Art. 29 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 AVIG je­den­falls im öf­fent­li­chen Recht die Ver­fah­rens­rech­te erst auf die Kas­se über, wenn die­se ge­gen­über der Ar­beit­neh­me­rin er­klärt hat, in das Ver­fah­ren ein­tre­ten zu wollen.

Der Entscheid

Dem Ent­scheid VB.2022.00519 vom 30. März 2023 lag fol­gen­der Sach­ver­halt zu­grun­de: Ei­ne An­ge­stell­te des So­zi­al­amts des Kan­tons Zü­rich wur­de im Fe­bru­ar 2022 frist­los ent­las­sen. Den ge­gen die Ent­las­sung er­ho­be­nen Re­kurs wies die zu­stän­di­ge Di­rek­ti­on ab, wes­halb die Re­kur­ren­tin Be­schwer­de beim Ver­wal­tungs­ge­richt Zü­rich ein­leg­te. Das So­zi­al­amt be­an­trag­te da­nach un­ter an­de­rem, dass auf die Be­schwer­de nicht ein­zu­tre­ten sei,  weil die von der Be­schwer­de­füh­re­rin gel­tend ge­mach­te For­de­rung  gröss­ten­teils durch Sub­ro­ga­ti­on auf die Ar­beits­lo­sen­kas­se über­ge­gan­gen sei. Es feh­le so­mit an der Beschwerdelegitimation.

Das Ver­wal­tungs­ge­richt Zü­rich führ­te in sei­nem Ent­scheid mit Ver­weis auf das Ar­beits­lo­sen­ver­si­che­rungs­ge­setz (na­ment­lich Art. 29 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 AVIG) aus, dass die Ar­beits­lo­sen­kas­se wohl im Um­fang ih­rer Leis­tung in die Rech­te der ver­si­cher­ten Per­son ein­tre­te. Dies be­deu­te al­ler­dings nicht, dass auch die Ver­fah­rens­rech­te der ar­beit­neh­men­den Per­son in ei­nem hän­gi­gen Rechts­mit­tel­ver­fah­ren von Ge­set­zes we­gen in­fol­ge Zah­lung durch die Ar­beits­lo­sen­kas­se auf die­se über­gin­gen. Der Über­gang der Ver­fah­rens­rech­te er­fol­ge viel­mehr erst mit der von der Kas­se an die ver­si­cher­te Per­son ge­rich­te­ten Er­klä­rung, selbst in das Ver­fah­ren ein­tre­ten zu wol­len. Bis zu die­sem Zeit­punkt, ha­be die ar­beit­neh­men­de Per­son in ei­ge­nem Na­men wei­ter­hin die strit­ti­gen An­sprü­che ge­gen­über dem Ar­beit­ge­ber durch­zu­set­zen. So­weit die­se An­sprü­che auf die Ar­beits­lo­sen­kas­se über­ge­gan­gen sei­en, hand­le es sich um ei­ne Pro­zess­stand­schaft. Erst mit der Mit­tei­lung der Kas­se, sie tre­te in das Ver­fah­ren ein, ver­lie­re die ar­beit­neh­men­de Per­son die Ei­gen­schaft als Pro­zess­stand­schaf­te­rin. Ei­ne an­de­re Lö­sung er­schei­ne ge­ra­de bei Strei­tig­kei­ten aus dem Be­reich des öf­fent­li­chen Per­so­nal­rechts, wo die an­ge­stell­ten Per­so­nen ih­re Rech­te ge­gen­über dem Ar­beit­ge­ber re­gel­mäs­sig in­nert kur­zer Frist gel­tend ma­chen müs­sen, nicht als sachgerecht.

Gedanken zum Entscheid

Das Ver­wal­tungs­ge­richt bringt mit sei­nem Ent­scheid pri­mär zum Aus­druck, dass es we­der im öf­fent­li­chen Recht noch im Pri­vat­recht ei­nen un­mit­tel­ba­ren Par­tei­wech­sel durch die Sub­ro­ga­ti­on nach Art. 29 AVIG ge­ben soll. Nur weil die Ar­beits­lo­sen­kas­se Leis­tun­gen er­bracht hat, tritt sie dem­nach nicht di­rekt und au­to­ma­tisch in ei­nen hän­gi­gen Zi­vil­pro­zess oder ein lau­fen­des Be­schwer­de­ver­fah­ren ein. Dies, ob­wohl die Rech­te an der Lohn­for­de­rung ge­gen­über dem Ar­beit­ge­ber mit der Leis­tung der Ar­beits­lo­sen­kas­se un­mit­tel­bar auf die­se über­ge­gan­gen sind.

Ge­mein­sam­kei­ten öf­fent­li­ches Recht und Pri­vat­recht. Mit der Sub­ro­ga­ti­on geht ei­ne For­de­rung von Ge­set­zes we­gen auf ei­nen an­de­ren über, oh­ne dass es ei­ner be­son­de­ren Form oder ei­ner Wil­lens­er­klä­rung be­darf. Ei­nen sol­chen Über­gang sieht Art. 29 AVIG vor. Die Ar­beits­lo­sen­kas­se ist die­sem ge­mäss leis­tungs­pflich­tig, wenn be­grün­de­te Zwei­fel dar­über be­stehen, ob der Ver­si­cher­te für die Zeit des Ar­beits­aus­falls ge­gen­über sei­nem bis­he­ri­gen Ar­beit­ge­ber Lohn- oder Ent­schä­di­gungs­an­sprü­che hat oder ob sol­che er­füllt wer­den. Mit der Zah­lung ge­hen al­le An­sprü­che des Ver­si­cher­ten auf die Kas­se über. Im üb­ri­gen Um­fang ver­blei­ben die An­sprü­che so­wohl ma­te­ri­ell als auch ver­fah­rens­recht­lich beim Ar­beit­neh­mer und ge­hen nicht mit­tels Sub­ro­ga­ti­on auf die Kas­se über. Das be­deu­tet, der Ar­beit­neh­mer bleibt stets für den ver­blei­ben­den Teil (20 bzw. 30%) auch dann wei­ter­hin be­schwer­de- bzw. kla­ge­le­gi­ti­miert, wenn im üb­ri­gen Um­fang Ver­fah­rens­rech­te di­rekt und oh­ne wei­te­res Zu­tun auf die Ar­beits­lo­sen­kas­se über­ge­hen wür­den. Dies gilt so­wohl im öf­fent­li­chen als auch im Privatrecht.

Kniff des Ge­richts. Das Ver­wal­tungs­ge­richt hat rich­tig fest­ge­stellt, dass vor al­lem im öf­fent­li­chen Recht Fris­ten gel­ten, die da­zu füh­ren kön­nen, dass die Ar­beits­lo­sen­kas­se die auf sie über­ge­gan­ge­nen An­sprü­che nicht recht­zei­tig gel­tend ma­chen kann. War­um ist das so? Wäh­rend Ar­beit­neh­men­de im Pri­vat­recht in­nert sechs Mo­na­ten ab En­de der An­stel­lung Kla­ge ein­rei­chen müs­sen, ha­ben die öf­fent­lich-recht­lich An­ge­stell­ten in der Re­gel nur 30 Ta­ge Zeit für die An­fech­tung der Kün­di­gungs­ver­fü­gung. Da die Kün­di­gungs­frist selbst oft län­ger ist als 30 Ta­ge, sind öf­fent­lich-recht­lich An­ge­stell­te oft noch im Be­trieb, wenn sie be­reits ge­richt­lich ge­gen die Kün­di­gung vor­ge­hen. In je­dem Fall hat die Ar­beits­lo­sen­kas­se re­gel­mäs­sig noch kei­ne Leis­tun­gen aus­ge­rich­tet, wo­mit noch kei­ne Sub­ro­ga­ti­on statt­fin­den konn­te. Wür­de man nun da­von aus­ge­hen, dass mit ei­ner Sub­ro­ga­ti­on al­le Rech­te von der Ar­beit­neh­me­rin auf die Kas­se über­gin­gen, kä­me es zur gro­tes­ken Si­tua­ti­on, dass ei­ne Ar­beit­neh­me­rin mög­li­cher­wei­se im lau­fen­den Rechts­mit­tel­ver­fah­ren – prak­tisch von ei­nem Mo­ment auf den an­de­ren – die Le­gi­ti­ma­ti­on über den Gross­teil sei­ner For­de­rung ver­lie­ren wür­de. Um die­ser Schwie­rig­keit ent­ge­gen­zu­wir­ken, nimmt das Ver­wal­tungs­ge­richt ei­ne Pro­zess­stand­schaft an, wel­che das Recht be­inhal­tet, in ei­ge­nem Na­men ei­nen Pro­zess über ein frem­des Recht zu füh­ren. Das heisst, der Ar­beit­neh­mer führt ab dem Zeit­punkt, in wel­chem er Ar­beits­lo­sen­tag­gel­der be­zieht, den Pro­zess für den An­teil, der auf die Ar­beits­lo­sen­kas­se über­ge­gan­gen ist, als Pro­zess­stand­schaf­ter wei­ter. Dies nach der Mei­nung des Ver­wal­tungs­ge­richts zu­min­dest so lan­ge, als die Ar­beits­lo­sen­kas­se dem Ar­beit­neh­mer ge­gen­über nicht an­zeigt hat, selbst in den Pro­zess ein­tre­ten zu wollen. 

Pro me­mo­ria. Im Pri­vat­recht ist für ein ge­mein­sa­mes Pro­zes­sie­ren von Ar­beit­neh­me­rin und Ar­beits­lo­sen­kas­se ent­schei­dend, wann die Ar­beits­lo­sen­kas­se ih­re Leis­tun­gen er­bringt. Ist dies vor Ein­tritt der Rechts­hän­gig­keit, kommt für ein ge­mein­sa­mes Vor­ge­hen nur ei­ne ein­fa­che Streit­ge­nos­sen­schaft in Be­tracht, weil mit der Zah­lung von Ar­beits­lo­sen­gel­dern die Sub­ro­ga­ti­on statt­fin­det, was auf­grund der im Ver­gleich zum öf­fent­li­chen Recht viel län­ge­ren Kla­ge­frist prak­tisch im­mer vor Rechts­hän­gig­keit ge­schieht. Das Pro­zes­sie­ren in ein­fa­cher Streit­ge­nos­sen­schaft be­dingt, dass bei­de Streit­ge­nos­sen über ei­ne ei­ge­ne Kla­ge­be­wil­li­gung ver­fü­gen, dem­nach das Schlich­tungs­ver­fah­ren durch­lau­fen ha­ben. Ein di­rek­ter Ein­stieg der Ar­beits­lo­sen­kas­se in den Pro­zess ist dem­nach spä­ter nicht mög­lich. Wur­de die Zah­lung erst nach Ein­tritt der Rechts­hän­gig­keit ge­leis­tet, er­folgt der Pro­zess­ein­tritt mit ei­nem Par­tei­wech­sel nach Art. 83 ZPO, der nur mit Ein­wil­li­gung der pro­zess­füh­ren­den Par­tei mög­lich ist.

Üb­ri­gens…

Der Ent­scheid ist aus­ser­dem auch des­halb le­sens­wert, weil er sich mit den Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne frist­lo­se Kün­di­gung be­fasst und die­se vor­lie­gend klar ver­neint. Dies nicht zu­letzt des­halb, weil das Ver­wal­tungs­ge­richt zum Schluss kam, das pflicht­wid­ri­ge Vor­ge­hen der Ge­kün­dig­ten sei durch ih­ren Ar­beit­ge­ber mit­ver­ur­sacht wor­den, weil die­ser ei­nen Ar­beits­platz­kon­flikt schwe­len liess, wo­mit er ein für die Ge­kün­dig­te un­zu­mut­ba­res Ar­beits­um­feld schuf. Die Be­deu­tung von un­ter­las­se­ner Hil­fe­stel­lung zur Kon­flikt­klä­rung hat in den letz­ten Jah­ren in der öf­fent­lich­recht­li­chen Ge­richts­pra­xis zu­ge­nom­men. Be­mer­kens­wert am vor­lie­gen­den Ent­scheid ist in­des, dass hier ein pflicht­wid­ri­ges Vor­ge­hen der Mit­ar­bei­te­rin (fal­sche Me­di­ka­men­ten­ab­ga­be) je­den­falls teil­wei­se durch den nicht be­ho­be­nen Kon­flikt er­klärt und da­mit letzt­lich ent­schul­digt wur­de. Die­se Auf­fas­sung des Ver­wal­tungs­ge­richts un­ter­streicht die Be­deu­tung der ar­beit­ge­ber­sei­ti­gen Ver­ant­wor­tung für Kon­flikt­klä­run­gen über sei­ne Für­sor­ge­pflicht hin­aus. Es ver­weist be­rech­tig­ter­wei­se in si­cher­heits­re­le­van­ten Be­rufs­kon­tex­ten auf die wei­te­re Di­men­si­on, die ge­ra­de im öf­fent­li­chen Recht mit dem öf­fent­li­chen In­ter­es­se an ei­nem stö­rungs­frei­en und ri­si­ko­ar­men Be­trieb gleich­ge­setzt wer­den könnte.

Über den Autor/die Autorin

Mirjam Barmet

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