Mehr Konturenschärfe für Fürsorgepflicht bei Alterskündigung

Im Ent­scheid AN210039‑L vom 16. Au­gust 2022 hat­te das Ar­beits­ge­richt Zü­rich die Kün­di­gung ei­nes lang­jäh­ri­gen Kochs zu be­ur­tei­len, des­sen Ar­beits­ver­hält­nis nach rund 30 Jah­ren im Al­ter von 64 Jah­ren auf­ge­löst wur­de. Die Kün­di­gung er­folg­te wäh­rend ei­ner län­ge­ren, min­des­tens teil­wei­sen Ar­beits­un­fä­hig­keit und rund elf Mo­na­te vor der Pen­sio­nie­rung des Kochs.

Abs­tract: Die vom Ar­beits­ge­richt im Fall der Kün­di­gung ei­nes 64-jäh­ri­gen Kochs nach 30-jäh­ri­ger Dienst­zeit an­ge­wen­de­te bun­des­ge­richt­li­che Recht­spre­chung sieht vor, dass bei äl­te­ren Ar­beit­neh­men­den der Art und Wei­se der Kün­di­gung be­son­de­re Be­ach­tung zu schen­ken ist. Der Um­fang der (er­höh­ten) Für­sor­ge­pflicht der Ar­beit­ge­be­rin be­stimmt sich auch bei äl­te­ren Ar­beit­neh­men­den auf­grund ei­ner Ge­samt­wür­di­gung der je­wei­li­gen Umstände.

Der Entscheid

Auf­grund der Aus­gangs­la­ge hielt das Ar­beits­ge­richt fest, dass der Koch im Sin­ne der bun­des­ge­richt­li­chen Recht­spre­chung zwei­fel­los als Ar­beit­neh­mer fort­ge­schrit­te­nen Al­ters mit lan­ger Dienst­zeit gel­te. Der 11 Mo­na­te vor sei­ner Pen­sio­nie­rung ste­hen­de, min­des­tens teil­wei­se ar­beits­un­fä­hi­ge Koch hat­te ge­mäss Ar­beits­ge­richt rea­lis­ti­scher­wei­se kei­ne Mög­lich­keit, bis zu sei­ner Pen­sio­nie­rung noch ei­ne neue Stel­le zu fin­den. Auf­grund die­ser Ein­schät­zung kam das Ar­beits­ge­richt zum Schluss, dass im Rah­men ei­ner Ein­zel­fall­be­trach­tung von ei­ner er­höh­ten Für­sor­ge­pflicht des Wir­tes ge­gen­über dem Koch aus­zu­ge­hen sei. Der Wirt hät­te im Rah­men die­ser Für­sor­ge­pflicht den Koch recht­zei­tig über die Kün­di­gung in­for­mie­ren und die­sen an­hö­ren müs­sen. Er wä­re wei­ter da­zu ver­pflich­tet ge­we­sen, nach Lö­sun­gen zu su­chen, wel­che ei­ne Auf­recht­erhal­tung des Ar­beits­ver­hält­nis­ses er­mög­licht hätten.

Der Wirt brach­te vor, dass der Koch ei­ner­seits auf­grund des Schrei­bens der Kran­ken­tag­geld­ver­si­che­rung, dass er aus­ge­steu­ert sei und kei­nen An­spruch mehr auf Tag­gel­der ha­be und an­der­seits, auf­grund des Ab­laufs der 180-tä­gi­gen Sperr­frist, mit der Kün­di­gung hät­te rech­nen müs­sen. Dem wi­der­sprach das Ar­beits­ge­richt. Es hielt fest, dass al­lein we­gen des Schrei­bens der Kran­ken­tag­geld­ver­si­che­rung der Koch nach ei­ner der­art lan­gen und schein­bar rei­bungs­lo­sen Zu­sam­men­ar­beit nicht un­mit­tel­bar mit der Kün­di­gung hät­te rech­nen müs­sen. Wei­ter hielt es fest, dass auch der Ab­lauf der Sperr­frist nicht da­zu führt, dass der Koch je­der­zeit hät­te mit der Kün­di­gung rech­nen müs­sen und in die­sem Sin­ne stets vor­ge­warnt ge­we­sen sei. Dies gel­te ins­be­son­de­re, wenn ein Ar­beits­ver­hält­nis so lan­ge an­dau­ert und der Ar­beit­neh­mer kurz vor der Pen­sio­nie­rung steht. Das Ar­beits­ge­richt hielt fest, dass der Wirt den Koch ent­spre­chend hät­te vor­war­nen oder die Si­tua­ti­on vor­gän­gig zu ei­ner Kün­di­gung mit ihm hät­te be­spre­chen müs­sen. Bei­des ge­schah nicht. Be­reits un­ter die­sem Aspekt be­ur­teil­te das Ar­beits­ge­richt die Kün­di­gung als missbräuchlich.

Wei­ter ur­teil­te das Ar­beits­ge­richt, dass die An­nah­me des Wir­tes, dass er mit dem Koch kei­ne so­zi­al­ver­träg­li­che Lö­sung hät­te fin­den kön­nen, ihn nicht da­von ent­bin­det, den Koch in die Lö­sungs­fin­dung mit­ein­zu­be­zie­hen. Und auch wenn er der An­sicht ge­we­sen sei, dass sein Han­deln ei­ne fi­nan­zi­ell güns­ti­ge Lö­sung für den Koch er­mög­licht ha­be, hät­te er das Ge­spräch mit dem Koch su­chen müs­sen. Auch un­ter die­sem Aspekt be­ur­teil­te das Ar­beits­ge­richt die Kün­di­gung als missbräuchlich.

Zu­sam­men­fas­send hielt das Ar­beits­ge­richt fest, dass der Wirt mit der Art und Wei­se der aus­ge­spro­che­nen Kün­di­gung ge­gen sei­ne Für­sor­ge­pflicht ver­stiess, da er den Koch we­der vor­warn­te noch an­hör­te oder ge­mein­sam mit die­sem nach Lö­sun­gen such­te, wel­che die Auf­recht­erhal­tung des Ar­beits­ver­hält­nis­ses er­mög­licht hät­ten. Viel­mehr kün­dig­te der Wirt sei­nem lang­jäh­ri­gen Koch kurz vor des­sen Pen­sio­nie­rung oh­ne die­sen auch nur an­ge­hört oder mit ihm ein vor­gän­gi­ges Ge­spräch ge­sucht oder ge­führt zu ha­ben. Die Kün­di­gung wur­de vor die­sem Hin­ter­grund als miss­bräuch­lich qualifiziert.

Gedanken zum Entscheid

In die­sem Ent­scheid stützt das Ar­beits­ge­richt sei­ne Ar­gu­men­ta­ti­on auf die bun­des­ge­richt­li­che Recht­spre­chung ab, die in Fäl­len von Kün­di­gun­gen von Ar­beit­neh­men­den im fort­ge­schrit­te­nen Al­ter und mit lan­ger Dienst­zeit ei­ne er­höh­te Für­sor­ge­pflicht der Ar­beit­ge­be­rin vor­sieht. Die­se bun­des­ge­richt­li­che Recht­spre­chung be­darf ei­ner nä­he­ren Betrachtung.

Wür­di­gung ge­sam­ter Um­stän­de ist ent­schei­dend bei Fürsorgepflicht.

Das Bun­des­ge­richt hat wie­der­holt (auch im vor­lie­gen­den Fall, der bis vor Bun­des­ge­richt ge­zo­gen wur­de) aus­ge­führt, dass die Ar­beit­ge­be­rin zwar bei äl­te­ren Ar­beit­neh­men­den der Art und Wei­se der Kün­di­gung be­son­de­re Be­ach­tung zu schen­ken ha­be, doch be­stim­me sich der Um­fang der Für­sor­ge­pflicht der Ar­beit­ge­be­rin auch bei äl­te­ren Ar­beit­neh­men­den auf­grund ei­ner Ge­samt­wür­di­gung der je­wei­li­gen Um­stän­de. Es kann al­so eher nicht da­von ge­spro­chen wer­den, dass für ei­ne be­stimm­te Ka­te­go­rie von Ar­beit­neh­men­den ei­ne An­nä­he­rung an das öf­fent­li­che Dienst­recht statt­fin­det, wie es im Ar­beits­recht nicht vor­ge­se­hen ist und wie es teil­wei­se, nach ei­nem ers­ten Bun­des­ge­richts­ur­teil in ähn­li­cher An­ge­le­gen­heit, in der Leh­re be­fürch­tet wor­den war.

Der Ent­scheid ist zu be­grüs­sen, da den kon­kre­ten Um­stän­den sorg­fäl­tig Rech­nung ge­tra­gen wird. Da­zu ist es nicht not­wen­dig, auf die Prin­zi­pi­en des öf­fent­li­chen Per­so­nal­rechts (z.B. Ge­wäh­rung des recht­li­chen Ge­hörs oder Be­ach­tung der Ver­hält­nis­mäs­sig­keit) ab­zu­stel­len, son­dern ei­ne Kon­kre­ti­sie­rung der Für­sor­ge­pflicht des Ar­beit­ge­bers reicht aus. Nach­teil, die­ser Ab­stel­lung auf die kon­kre­ten Um­stän­de ist, dass es schwie­rig bleibt, ein all­ge­mein­gül­ti­ges Vor­ge­hen für Ar­beit­ge­ben­de zu formulieren.

Wei­ter ist zu be­grüs­sen, dass ein an­ti­zi­pie­ren­des Vor­ge­hen des Ar­beit­ge­bers nicht ge­schützt wur­de. Es ist nicht statt­haft (son­dern fast schon zy­nisch), wenn der Ar­beit­ge­ber für die Ar­beit­neh­men­den ent­schei­det, dass es kei­ne bes­se­ren Lö­sun­gen gibt und er des­halb das Ge­spräch nicht sucht.

Empfehlungen für die Praxis

Für die Pra­xis ist ent­schei­dend, dass die Für­sor­ge­pflicht der Ar­beit­ge­be­rin je nach Ein­zel­fall be­deu­ten kann, dass zu­sätz­li­che Hand­lun­gen zum üb­li­chen Vor­ge­hen not­wen­dig sind. So zum Bei­spiel die vor­gän­gi­ge An­hö­rung der Ar­beit­neh­men­den, die Su­che nach Al­ter­na­ti­ven oder bes­se­ren Op­tio­nen und das Vor­lie­gen der be­trieb­li­chen Not­wen­dig­keit. Da­mit kann in­so­fern von ei­ner An­nä­he­rung an das öf­fent­li­che Per­so­nal­recht ge­spro­chen wer­den, als es sich um «In­stru­men­te» han­delt, die im öf­fent­li­che Per­so­nal­recht in je­dem Fall ge­for­dert werden:

  • vor­gän­gi­ge An­hö­rung der Ar­beit­neh­men­den (Ge­wäh­rung des recht­li­chen Gehörs)
  • die Su­che nach Al­ter­na­ti­ven oder bes­se­ren Op­tio­nen (Ver­hält­nis­mäs­sig­keits­prin­zip)
  • das Vor­lie­gen der be­trieb­li­chen Not­wen­dig­keit (sach­li­cher Kündigungsgrund)

Die­se er­höh­ten An­for­de­run­gen gel­ten im­mer dann, wenn die be­ab­sich­tig­te Kün­di­gung Ar­beit­neh­men­de be­son­ders schwer trifft, was ins­be­son­de­re bei lang­jäh­ri­gen Mit­ar­bei­ten­den kurz vor der Pen­sio­nie­rung der Fall ist. Es heisst aber kei­nes­falls, dass Kün­di­gun­gen von äl­te­ren Ar­beit­neh­men­den per se miss­bräuch­lich sind. Es darf kei­ne iso­lier­te Be­trach­tung nur des Al­ters statt­fin­den, son­dern es ist auf die ge­sam­ten Um­stän­de des Ein­zel­fal­les abzustellen.

Im Zwei­fel eher mehr…

Soll­te Un­si­cher­heit be­stehen, ob ein Fall er­höh­ter Für­sor­ge­pflicht vor­liegt, emp­fiehlt es sich, die er­höh­ten An­for­de­run­gen an­zu­wen­den, sprich vor­ab Ge­sprä­che zu füh­ren und nach al­ter­na­ti­ven Lö­sun­gen zu su­chen. So fin­det kei­ne Un­ter­las­sung statt, die spä­ter nicht kor­ri­giert wer­den kann.

Über den Autor/die Autorin

Michael Oberdorfer

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