Zählt Umkleiden zur Arbeitszeit?

Im Früh­ling 2019 wur­de die Fra­ge, ob die Zeit, wel­che Ar­beit­neh­men­de für das Um­zie­hen be­nö­ti­gen zur Ar­beits­zeit ge­hört, in den Me­di­en breit dis­ku­tiert. Den Stein ins Rol­len ge­bracht hat­te der Ver­band des Per­so­nals öf­fent­li­cher Diens­te (VPOD). Er lan­cier­te im Herbst 2018 die Kam­pa­gne «Um­klei­den ist Ar­beits­zeit» und for­der­te, dass die Um­klei­de­zeit als Ar­beits­zeit an­ge­rech­net wird. Für die Zu­kunft konn­ten mit ver­schie­de­nen Spi­tä­lern Lö­sun­gen ge­fun­den wer­den. Für die in der Ver­gan­gen­heit nicht auf die Ar­beits­zeit an­ge­rech­ne­te Um­klei­de­zeit wur­de die Aus­zah­lung ent­spre­chen­der Ver­gü­tun­gen ver­langt und in der Fol­ge auch ein­ge­klagt. Das Ver­wal­tungs­ge­richt des Kan­tons Zü­rich hat am 24. Ju­ni 2020 ei­nen ers­ten Fall ent­schie­den. Es hat – wie be­reits der Be­zirks­rat zu­vor – die rück­wir­ken­de Ver­gü­tung abgelehnt.

Abs­tract: Das Ver­wal­tungs­ge­richt des Kan­tons Zü­rich kam in sei­nem Ent­scheid im We­sent­li­chen zum Schluss, dass der Ar­beit­ge­ber mit sei­ner Wei­sung, wo­nach die Um­klei­de­zeit nicht zur Ar­beits­zeit ge­hö­re, sei­nen Spiel­raum bei der Aus­le­gung des Per­so­nal­re­gle­ments nicht über­schrit­ten ha­be. Es wies des­halb die nach­träg­li­che Ver­gü­tung der Um­klei­de­zeit ab. Zu be­ach­ten ist, dass der Ent­scheid ei­nen Zweck­ver­band be­traf. Zweck­ver­bän­den kommt bei der Aus­ge­stal­tung ih­rer ei­ge­nen Per­so­nal­re­gle­men­te ein er­heb­li­cher Ge­stal­tungs­spiel­raum zu. So­dann fin­det das Ar­beits­ge­setz kei­ne An­wen­dung. Der Ent­scheid kann des­halb nicht un­be­se­hen auf an­de­re An­stel­lungs­ver­hält­nis­se über­tra­gen werden.

Der Entscheid

Vier An­ge­stell­te ei­nes Spi­tals mach­ten in ih­rer Be­schwer­de an das Ver­wal­tungs­ge­richt gel­tend, sie hät­ten – weil die Um­klei­de­zeit nicht be­rück­sich­tigt wor­den sei – mehr Ar­beits­zeit ge­leis­tet, als ih­nen der Ar­beit­ge­ber an­ge­rech­net hät­te und ver­lang­ten, die zu­sätz­li­che Ar­beits­zeit sei fi­nan­zi­ell aus­zu­glei­chen. Das Ver­wal­tungs­ge­richt wies die Be­schwer­de ab.

Das Ver­wal­tungs­ge­richt führ­te zur Be­grün­dung zu­nächst aus, das Per­so­nal­re­gle­ment des Spi­tals se­he bei Leis­tung von Mehr- oder Über­zeit in ers­ter Li­nie ei­nen Aus­gleich durch Ge­wäh­rung von Frei­zeit vor. Ei­ne Ver­gü­tung sei nur zu­läs­sig, so­weit ein Zeit­aus­gleich aus be­trieb­li­chen Grün­den nicht mög­lich sei. Dar­aus fol­ger­te es, dass die Be­schwer­de­füh­ren­den be­reits aus die­sem Grund kei­nen An­spruch auf Aus­zah­lung hätten.

Im Wei­te­ren hielt es fest, dass Streit­punkt die Fra­ge bil­de, ob die Be­schwer­de­füh­ren­den für die Um­klei­de­zeit vor Schicht­be­ginn und nach Schich­ten­de An­spruch auf An­rech­nung an die be­zahl­te Ar­beits­zeit hät­ten. Die Be­schwer­de­füh­ren­den ver­lang­ten ei­ne pau­scha­le An­rech­nung von 15 Mi­nu­ten pro Ar­beits­tag, wäh­rend sich die Ge­gen­sei­te auf den Stand­punkt stel­le, die Um­klei­de­zeit sei nicht als Ar­beits­zeit an­zu­rech­nen. Das Ver­wal­tungs­ge­richt kam zum Schluss, dass es vor­lie­gend im Er­geb­nis um ei­ne Wei­sung des Ar­beit­ge­bers ge­he, wo­nach die An­ge­stell­ten wäh­rend der ge­sam­ten ent­schä­dig­ten Ar­beits­zeit vom Ar­beit­ge­ber zur Ver­fü­gung ge­stell­te Ar­beits­klei­der tra­gen müss­ten, bzw. um die Fra­ge, ob die Um­klei­de­zeit im für die an­ge­rech­ne­te Ar­beits­zeit aus­ge­rich­te­ten Mo­nats­lohn be­reits in­be­grif­fen sei.

Zur Be­ant­wor­tung die­ser Fra­ge be­fass­te sich das Ver­wal­tungs­ge­richt zu­nächst mit dem an­wend­ba­ren Recht und führ­te da­zu aus, es hand­le sich beim Ar­beit­ge­ber um ei­nen Zweck­ver­band, wel­chem in der Ge­stal­tung des ei­ge­nen Per­so­nal­rechts ein er­heb­li­cher Ge­stal­tung­s­piel­raum zu­kom­me, in wel­chen die Rechts­mit­tel­be­hör­den nicht ein­grei­fen dürf­ten. Es wies im Wei­te­ren dar­auf hin, dass das Per­so­nal­re­gle­ment des Zweck­ver­ban­des zwar den Um­fang der Ar­beits­zeit reg­le, aber kei­ne De­fi­ni­ti­on der Ar­beits­zeit ent­hal­te. Die Fra­ge, ob die Um­klei­de­zeit zur Ar­beits­zeit im Sin­ne des Per­so­nal­re­gle­ments zäh­le, sei mit­hin ei­ne Aus­le­gungs­fra­ge. In die­sem Zu­sam­men­hang sei zu­nächst un­be­strit­ten, dass beim Zweck­ver­band aber auch bei zahl­rei­chen an­de­ren Spi­tä­lern ei­ne lang­jäh­ri­ge Pra­xis be­stehe, wo­nach die be­zahl­te Ar­beits­zeit mit dem Dienst­an­tritt auf der Sta­ti­on oder im Ope­ra­ti­ons­saal be­gin­ne und mit dem Diens­ten­de am ent­spre­chen­den Ar­beits­ort en­de. Nach ge­leb­ter Pra­xis zäh­le die Um­klei­de­zeit dem­nach nicht zur be­zahl­ten Ar­beits­zeit, bzw. gel­te sie als im Mo­nats­lohn in­be­grif­fen. Dies kön­ne dem­nach in ana­lo­ger An­wen­dung von Art. 322 Abs. 1 OR (Lohn, Art und Hö­he im All­ge­mei­nen) als «üb­lich» be­zeich­net wer­den. An­ge­sichts des ge­rin­gen zeit­li­chen An­teils an der ge­sam­ten Prä­senz­zeit wäh­rend ei­ner Schicht füh­re die Re­ge­lung des Zweck­ver­ban­des so­dann nicht zu ei­nem un­halt­ba­ren Er­geb­nis. Dar­aus fol­ger­te das Ver­wal­tungs­ge­richt, dass der Ar­beit­ge­ber mit sei­ner Wei­sung, wo­nach die Um­klei­de­zeit nicht zur Ar­beits­zeit ge­hö­re, sei­nen Spiel­raum bei der Aus­le­gung des Per­so­nal­re­gle­ments nicht über­schrit­ten ha­be. In der Fol­ge prüf­te das Ver­wal­tungs­ge­richt, ob die Pra­xis des Zweck­ver­ban­des ge­gen über­ge­ord­ne­tes Recht – das Arbeitsgesetz­ – ver­stos­se. Da es sich beim Zweck­ver­band um ei­ne öf­fent­lich-recht­li­che Kör­per­schaft han­delt, fin­det das Ar­beits­ge­setz als Gan­zes kei­ne An­wen­dung. Das Ver­wal­tungs­ge­richt er­ach­te­te die De­fi­ni­ti­on des Ar­beits­ge­set­zes be­tref­fend Ar­beits­zeit, wo­nach als Ar­beits­zeit die­je­ni­ge Zeit gilt, wäh­rend der sich der Ar­beit­neh­mer oder die Ar­beit­neh­me­rin zu Ver­fü­gung des Ar­beit­ge­bers zu hal­ten ha­be (Art. 13 Abs. 1 ArGV1) als nicht ein­schlä­gig. Ab­schlies­send hielt das Ver­wal­tungs­ge­richt fest, dass die Be­schwer­de­füh­ren­den auch aus dem Ar­beits­ge­setz, wenn es denn An­wen­dung fin­den wür­de, nichts zu ih­ren Guns­ten ab­lei­ten könn­ten. Dies des­halb, weil das Ar­beits­ge­setz die zu­läs­si­gen Ar­beits­zei­ten wie auch die Höchst­ar­beits­zei­ten reg­le, nicht hin­ge­gen die Ent­schä­di­gung. Auch im pri­va­ten Ar­beits­recht füh­re die An­re­chen­bar­keit von Ar­beits­zeit nach den Be­stim­mun­gen des Ar­beits­ge­set­zes nicht zwin­gend da­zu, dass die frag­li­che Zeit auch ent­löhnt wer­den müs­se, denk­bar sei na­ment­lich, dass die­se Zeit – wie beim Be­schwer­de­geg­ner – als mit dem Mo­nats­lohn be­reits ab­ge­gol­ten gelte.

Würdigung

Vor­ab ist dar­auf hin­zu­wei­sen, dass der Ent­scheid des Ver­wal­tungs­ge­richts ei­nen Zweck­ver­band mit ei­ge­nem Per­so­nal­re­gle­ment, auf des­sen Ar­beits­ver­hält­nis­se das Ar­beits­ge­setz im Gan­zen kei­ne An­wen­dung fin­det, be­trifft. Der Ent­scheid kann des­halb nicht un­be­se­hen auf an­de­re Fäl­le, in wel­chen die An­rech­nung der Um­klei­de­zeit im Streit liegt, über­nom­men werden.

Das Ver­wal­tungs­ge­richt kam vor­lie­gend durch Aus­le­gung zum Schluss, dass die Um­klei­de­zeit nicht zur be­zahl­ten Ar­beits­zeit ge­hö­re, bzw. als im Mo­nats­lohn in­be­grif­fen gel­te. Die­ser Aus­le­gung liegt der Ge­dan­ke zu Grun­de, dass zwi­schen Ar­beits­zeit und Ent­löh­nung zu un­ter­schei­den ist. Die Fest­le­gung des Loh­nes für ei­ne Funk­ti­on un­ter­liegt im Pri­vat­recht der Par­tei­dis­po­si­ti­on. Im öf­fent­li­chen Recht wird die Ent­löh­nung für ei­ne be­stimm­te Funk­ti­on durch den Ge­set­zes- oder Ver­ord­nungs­ge­ber de­fi­niert. Um dies zu ver­deut­li­chen sei et­wa auf § 128 der Voll­zugs­ver­ord­nung zum Per­so­nal­ge­setz des Kan­tons Zü­rich hin­ge­wie­sen, ge­mäss wel­chem Ka­der­mit­ar­bei­ten­de nur bei Über­zeit­leis­tun­gen über 120 Stun­den ei­nen Zeit­aus­gleich oder aus­nahms­wei­se ei­ne Ver­gü­tung er­hal­ten. Auch im Pri­vat­recht sind im Ka­der­be­reich Re­ge­lun­gen, wo­nach die Leis­tung von Mehr­zeit im Lohn in­be­grif­fen ist, be­kannt. So­lan­ge das Ar­beits­ge­setz kei­ne An­wen­dung fin­det re­spek­ti­ve des­sen Höchst­ar­beits­zei­ten nicht über­schrit­ten wer­den, dürf­te un­be­strit­ten sein, dass ei­ne Re­ge­lung in ei­nem Per­so­nal­re­gle­ment oder auch in ei­nem Ar­beits­ver­trag, wo­nach die Um­klei­de­zeit als mit dem Lohn be­reits ab­ge­gol­ten gilt, zu­läs­sig wä­re. Dies zeigt sich et­wa auch dar­an, dass es grund­sätz­lich mög­lich wä­re, ei­ne um die Um­klei­de­zeit ver­län­ger­te Ar­beits­zeit zu sta­tu­ie­ren und da­für den glei­chen Lohn zu bezahlen.

Vor­lie­gend be­stand nun aber ge­ra­de kei­ne kla­re Re­ge­lung, wes­halb das Ver­wal­tungs­ge­richt zum In­stru­ment der Aus­le­gung grei­fen muss­te. Die­se Aus­le­gung wirft nach der hier ver­tre­te­nen An­sicht ei­ni­ge Fra­gen auf. So setzt sie sich et­wa nicht mit dem Be­griff der Ar­beit und der Ar­beits­zeit aus­ein­an­der. Als Ar­beit gilt ge­mäss bun­des­ge­richt­li­cher Recht­spre­chung zum Pri­vat­recht «je­de auf Be­frie­di­gung ei­nes Be­dürf­nis­ses ge­rich­te­te plan­mäs­si­ge Ver­rich­tung ei­nes Men­schen». Ge­mäss dem be­reits er­wähn­ten Art. 13 ArGV1 gilt als Ar­beits­zeit die Zeit, wäh­rend der sich der Ar­beit­neh­mer oder die Ar­beit­neh­me­rin zur Ver­fü­gung des Ar­beit­ge­bers zu hal­ten hat. So­wohl die De­fi­ni­ti­on des Bun­des­ge­richts wie auch Art. 13 ArGV1 sind vor­lie­gend zwar nicht di­rekt an­wend­bar. Vor dem Hin­ter­grund der Ein­heit der Rechts­ord­nung ist aber gleich­wohl die Fra­ge zu stel­len, ob die­se De­fi­ni­tio­nen nicht doch zur Aus­le­gung des Be­griffs Ar­beits­zeit des vor­lie­gend an­wend­ba­ren Per­so­nal­re­gle­ments zu be­ach­ten ge­we­sen wä­ren. Es ist nicht von der Hand zu wei­sen, dass ei­ne sol­che Aus­le­gung zum Schluss hät­te füh­ren kön­nen, dass die Um­klei­de­zeit als Ar­beits­zeit zu qua­li­fi­zie­ren ist. Das Ver­wal­tungs­ge­richt hat aus­ge­führt, dass die Ar­beits­zeit mit dem Dienst­an­tritt auf der Sta­ti­on oder im Ope­ra­ti­ons­saal be­gin­ne und mit dem Diens­ten­de am ent­spre­chen­den Ar­beits­ort en­de. Wenn nun die Um­klei­de­zeit als Ar­beits­zeit qua­li­fi­ziert wür­de, ver­län­ger­te sich der zeit­li­che Um­fang der Ar­beits­zeit. Da wohl auch im hier in­ter­es­sie­ren­den Per­so­nal­re­gle­ment ei­ne zeit­li­che Be­stim­mung der Ar­beits­zeit er­folgt ist (bspw. 42h), wür­de die Qua­li­fi­ka­ti­on der Um­klei­de­zeit als Ar­beits­zeit da­zu füh­ren, dass län­ger als 42h ge­ar­bei­tet wür­de, da sich die 42h auf den Schicht­be­ginn und das Schich­ten­de be­zie­hen. Dies wür­de die ent­spre­chen­den Rechts­fol­gen (Aus­gleich durch Frei­zeit oder Ver­gü­tung) nach sich ziehen.

Zu­sam­men­fas­send ist fest­zu­hal­ten, dass der Ent­scheid des Ver­wal­tungs­ge­richt ei­ni­ge Fra­gen auf­wirft. Der VPOD hat be­kannt ge­ge­ben, den Ent­scheid ans Bun­des­ge­richt wei­ter­zu­zie­hen. Es bleibt al­so spannend.

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Corina Ursprung

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