Im Herbst 2020 hat der Bundesrat beschlossen, dass das Bundesgesetz über die Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Angehörigenbetreuung in zwei Etappen in Kraft gesetzt wird. In der ersten Etappe wurden per 1. Januar 2021 unter anderem die Lohnfortzahlung bei kurzen Arbeitsabwesenheiten und der besoldete Vaterschaftsurlaub geregelt. In der zweiten Etappe wird nun per 1. Juli 2021 der bezahlte 14-wöchige Urlaub für die Betreuung von schwer kranken oder verunfallten Kindern in Kraft gesetzt, welcher rein vom Umfang her eine deutlich grössere Entlastung für die Mitarbeitenden aber auch eine deutlich grössere Herausforderung für die betroffenen Arbeitgeberinnen darstellt. Im ersten Beitrag dieses Jahr haben wir bereits auf den Betreuungsurlaub hingewiesen. Hier folgt nun unser friendly reminder rechtzeitig vor Inkrafttreten.
Abstract: Per 1. Juli 2021 wird eine 14-wöchige Betreuungsentschädigung bzw. ein 14-wöchiger Betreuungsurlaub für die Betreuung von schwer kranken oder verunfallten Kindern in Kraft gesetzt. Der Urlaub kann am Stück oder tageweise bezogen werden, eine Ferienkürzung darf nicht erfolgen. Wenn beide Eltern erwerbstätig sind, hat jeder Elternteil Anspruch auf höchstens die Hälfte, eine abweichende Aufteilung ist allerdings möglich. Solange ein Anspruch auf Betreuungsurlaub besteht, längstens aber während sechs Monaten, sind die Arbeitnehmenden durch eine Sperrfrist geschützt.
Gesetzgeberische Absicht
Hintergrund für die Schaffung des 14-wöchigen Betreuungsurlaub war die Anerkennung, dass die Arbeit von betreuenden Angehörigen für die Gesellschaft sehr wichtig ist. Gemäss damaliger Medienmitteilung übernehmen die Angehörigen einen bedeutenden Teil der Pflege und Betreuung kranker und pflegebedürftiger Personen. Die Vereinbarkeit von Angehörigenbetreuung und Erwerbstätigkeit kann jedoch schwierig sein, weshalb eine entsprechende Verbesserung vom Parlament verabschiedet worden ist. Der neue entschädigte Betreuungsurlaub ermöglicht es gemäss Bundesrat den betroffenen Eltern, die Erwerbstätigkeit für eine bestimmte Dauer zu unterbrechen, ohne dass damit der Verlust der Arbeitsstelle oder eine Erwerbseinbusse einhergeht. Ein solcher Urlaub entlastet die betroffenen Eltern und kann die Heilungschancen sowie den Heilungsprozess des Kindes positiv fördern.
Konkrete Regelung
Ab dem 1. Juli 2021 haben Eltern, die ihre Erwerbstätigkeit infolge der Betreuung eines wegen Krankheit oder Unfalls gesundheitlich schwer beeinträchtigten minderjährigen Kindes unterbrechen müssen, unter bestimmten Voraussetzungen während maximal 14 Wochen Anspruch auf Erwerbsausfallentschädigung gemäss Erwerbsersatzgesetz (EOG). Die Regelung im EOG ist Grundlage für die Bestimmung im Obligationenrecht, welche einen Anspruch auf Betreuungsurlaub vorsieht, sofern Anspruch auf Betreuungsurlaub gemäss EOG besteht.
Anspruchsberechtigt sind die Eltern (und wohl auch Pflege- und Stiefeltern) eines minderjährigen Kindes, das wegen Krankheit oder Unfall gesundheitlich schwer beeinträchtigt ist, wenn sie die Erwerbstätigkeit für die Betreuung des Kindes unterbrechen und wenn sie im Zeitpunkt der Unterbrechung der Erwerbstätigkeit Arbeitnehmende sind. Pro Krankheitsfall oder Unfall entsteht nur ein Anspruch.
Aufgrund des grossen Interpretationsspielraums ist insbesondere interessant, was genau unter einer schweren gesundheitlichen Beeinträchtigung zu verstehen ist. Gemäss Art. 16o EOG ist ein Kind gesundheitlich schwer beeinträchtigt, wenn:
- eine einschneidende Veränderung des körperlichen oder psychischen Zustandes des Kindes eingetreten ist;
- der Verlauf oder der Ausgang dieser Veränderung schwer vorhersehbar ist oder mit einer bleibenden oder zunehmenden Beeinträchtigung oder dem Tod zu rechnen ist;
- ein erhöhter Bedarf an Betreuung durch die Eltern besteht; und
- mindestens ein Elternteil die Erwerbstätigkeit für die Betreuung des Kindes unterbrechen muss.
Aufgrund der Formulierung ist ersichtlich, dass die genannten Kriterien kumulativ vorliegen müssen. Ob der Gesetzestext genügend klar und bestimmt ist, wird sich im Rahmen der Anwendung zeigen. Vorab hilft wie immer bei Auslegungsfragen ein Blick in die Botschaft. Gemäss dieser sind Bagatellkrankheiten und leichte Unfallfolgen aber auch mittelschwere Beeinträchtigungen, die zwar Spitalaufenthalte oder regelmässige Arztbesuche erforderlich machen und den Alltag erschweren, bei denen aber mit einem positiven Ausgang zu rechnen oder die gesundheitliche Beeinträchtigung kontrollierbar ist (z.B. Knochenbrüche, Diabetes, Lungenentzündung), nicht erfasst. Die gesundheitliche Beeinträchtigung muss eine stationäre oder ambulante ärztliche Behandlung des Kindes über eine längere Dauer (mehrere Monate) bedingen. Eine gewisse Objektivierung wird dadurch erreicht, dass eine Nachweispflicht (Arztzeugnis) der schweren gesundheitlichen Beeinträchtigung und der Notwendigkeit der Begleitung, Betreuung oder Pflege durch mindestens einen Elternteil besteht.
Auch mittelschwere Beeinträchtigungen sind nicht zwingend erfasst.
Von der Betreuungsentschädigung sollen grundsätzlich akute Krankheitssituationen erfasst werden. Auch eine schleichende Verschlimmerung des Gesundheitszustandes kann ab einer bestimmten Intensität eine Betreuung erfordern und soll deshalb auch erfasst werden. Ebenfalls kann eine einschneidende Veränderung auch bei einem chronisch kranken Kind auftreten, wenn sich sein Zustand akut stark verschlechtert. Schliesslich soll die geforderte enge Betreuung auch Phasen einschliessen, in denen sich die Betreuung auf das eigentliche Beistehen beschränkt und konkrete Pflege- und Betreuungshandlungen nur von Fachpersonen vorgenommen werden können.
Bezug der Betreuungsentschädigung bzw. des Betreuungsurlaubs
Die Betreuungsentschädigung bzw. der Betreuungsurlaub ist innerhalb einer Rahmenfrist von 18 Monaten zu beziehen. Die Frist beginnt mit dem Tag, für den das erste Taggeld bezogen wird. Anfänglich ist es möglich, dass Ferien- oder Kompensationstage bezogen werden. Dies soll die Rahmenfrist noch nicht auslösen. Ein Ende findet der Anspruch nach Ablauf der Rahmenfrist oder nach Ausschöpfung der Taggelder. Sind die geforderten Voraussetzungen nicht mehr erfüllt, endet der Anspruch vorzeitig. Wird das Kind während der Rahmenfrist volljährig, bedeutet dies nicht das Ende des Anspruchs. Ist das Kind aber bei der einschneidenden Veränderung des körperlichen oder psychischen Zustandes volljährig, besteht von Beginn weg kein Anspruch. Es stellt sich die Frage, ob es aus Gründen der Rechtsgleichheit nicht korrekter wäre, wenn der Anspruch so oder so mit der Volljährigkeit des Kindes enden würde.
Wie auch Mutterschafts- und Vaterschaftsentschädigung, wird die Betreuungsentschädigung als Taggeld ausgerichtet. Innerhalb der Rahmenfrist besteht Anspruch auf höchstens 98 Taggelder (entspricht 14 Wochen). Das Taggeld beträgt 80 % des durchschnittlichen Erwerbseinkommens, das vor Beginn des Anspruchs auf Betreuungsentschädigung erzielt wurde, maximal aber CHF 196.00 pro Tag. Arbeitnehmende im Teilzeitpensum erhalten, entsprechend ihrem durchschnittlich erzielten Einkommen, 80 % ihres Teilzeitpensum.
Wenn beide Eltern erwerbstätig sind, hat jeder Elternteil Anspruch auf höchstens die Hälfte der Taggelder. Allerdings können die Eltern eine abweichende Aufteilung wählen. Der Arbeitgeber muss bzw. kann die Aufteilung des Betreuungsurlaubs nicht genehmigen, er ist aber über die Modalitäten des Urlaubsbezugs sowie über Änderungen unverzüglich zu informieren (Art. 329i Abs. 5 OR). Der Urlaub kann am Stück oder tageweise bezogen werden.
Im Gegensatz zur Erwerbsausfallentschädigung bei Mutter- und Vaterschaftsurlaub bestehen bei der Betreuungsentschädigung keine Vorgaben bezüglich Vorversicherungs- und Mindesterwerbsdauer.
Sperrfristenproblematik und Ferienkürzung
Solange ein Anspruch auf Betreuungsurlaub besteht, längstens aber während sechs Monaten ab dem Tag, an dem die Rahmenfrist zu laufen beginnt, darf der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis gemäss Art. 336c Abs. 1 Bst cbis OR nicht kündigen (sog. Sperrfrist bzw. Kündigung zur Unzeit). Im Ergebnis sind dadurch unterschiedliche Konstellationen möglich:
- Beziehen beide Elternteile je sieben Wochen gleichzeitig, endet der Sperrfristenschutz nach sieben Wochen (da kein weiterer Anspruch besteht).
- Bezieht ein Arbeitnehmer den ganzen Betreuungsurlaub am Stück, endet der Sperrfristenschutz nach 14 Wochen (da kein weiterer Anspruch besteht).
- Bezieht eine Arbeitnehmerin 13 Wochen am Stück und wartet mit dem Bezug der 14. Woche länger als ein halbes Jahr, endet der Sperrfristenschutz nach sechs Monaten (da die Sperrfrist längstens sechs Monate dauert).
In der Praxis dürfte es schwierig sein, vor Ablauf von sechs Monaten genau zu wissen, ob noch eine Sperrfrist gilt oder nicht, da der Betreuungsurlaub unter den Eltern aufgeteilt werden kann und somit der Bezug auch des anderen Elternteils einen Einfluss auf die Dauer der Sperrfrist hat. Ob das der Rechtssicherheit zuträglich ist, sei dahingestellt. Um keine nichtige Kündigung zu riskieren, tun Arbeitgeberinnen gut daran, bei Zweifel die sechsmonatige Kündigungsfrist abzuwarten. Selbstverständlich sollte nach Möglichkeit in solch schwierigen Situationen aus Gründen der Fürsorgepflicht generell auf eine Kündigung verzichtet werden.
Ebenso wie beim Bezug von Mutterschafts- und Vaterschaftsurlaub dürfen auch beim Bezug des Betreuungsurlaubs die Ferien vom Arbeitgeber nicht gekürzt werden (Art. 329b Abs. 3 lit. d OR).
Offene Fragen
Da der Bund die Änderung der Verordnung zum Erwerbsersatzgesetz und das geplante Kreisschreiben zur Betreuungsentschädigung noch nicht publiziert hat, sind noch einige Detailfragen, insbesondere diejenige nach der konkreten Abwicklung, offen. Aus diesem Grund dürften auch die meisten öffentlich-rechtlichen Arbeitgeberinnen noch keine entsprechenden Rechtsänderungen verabschiedet haben. Es ist aber davon auszugehen, dass eine Umsetzung sehr nahe an der privatrechtlichen Vorlage erfolgen wird. Die Verordnungsänderungen des Bundes werden voraussichtlich Mitte Mai vom Bundesrat verabschiedet und das Kreisschreiben im Juni publiziert. Es dürfte sich lohnen, sich selbst einen friendly reminder für diese beiden Dokumente zu setzen. Auf dem Personalrechtsblog wird zu gegebener Zeit ein entsprechendes Update erfolgen.