Auch vor Gericht und unter Juristinnen und Juristen gibt es immer wieder Fälle, bei denen man sich die Frage stellt, ob es sich tatsächlich so zugetragen hat. In aller Regel sind solche Fälle aber äusserst lehrreich, weil besonders einprägsam. Etwa wie derjenige Fall, den das Arbeitsgericht Zürich kurz vor Jahresende 2020 zu beurteilen hatte.
Abstract: Wenn sich der Arbeitgeber nicht an die genaue Zeit eines Gesprächs über einen Lohnverzicht seiner Mitarbeiterin erinnern kann, dieses Gespräch im Rahmen eines informellen Feierabendbiers stattgefunden haben soll, keine Schriftlichkeit zum Lohnverzicht besteht und dieser von der Mitarbeiterin bestritten wird, so sieht auch das Gericht keinen Anlass, den Lohnverzicht als bewiesen anzusehen. In solchen Fällen würde bestehende Schriftlichkeit massgeblich dazu beitragen, den eigenen Standpunkt zu verbessern.
Der Entscheid
Das Arbeitsgericht Zürich hatte im Entscheid AH190035 (Urteil vom 8. Dezember 2020, publiziert in: Entscheide des Arbeitsgerichtes Zürich 2020, S. 14) den folgenden Sachverhalt zu beurteilen: Einer Juristin wurde für den Mai 2018 kein Lohn ausbezahlt, weil der Arbeitgeber behauptete, sie hätte im Rahmen eines Feierabendbiers auf den Lohn für Mai 2018 verzichtet.
Die Arbeitnehmerin arbeitete zunächst als Substitutin und danach als Juristin während mehrerer Jahre für eine Zürcher Anwaltskanzlei. Vor Arbeitsgericht war unbestritten, dass die Arbeitnehmerin für den Monat Mai 2018 keinen Lohn erhalten hatte. Die Vertreter der Anwaltskanzlei machten geltend, dass der Lohn vereinbarungsgemäss nicht bezahlt worden sei, da die Arbeitnehmerin auf den Lohn verzichtet habe. Vor Gericht wurden ein Gesellschafter und eine Sekretariatsangestellte der Anwaltskanzlei zum Lohnverzicht befragt. Es gab kein schriftliches Dokument (auch keinen Bierdeckel), aus welchem ein Lohnverzicht hervorgehen würde.
Im Rahmen der Parteibefragung führte der Gesellschafter der Anwaltskanzlei aus, dass der Lohnverzicht der Juristin in einer Bar in Zürich erfolgt sei. Es habe an einem Tag im April 2018, an dessen genaues Datum er sich nicht mehr erinnern könne, nach Arbeitsschluss stattgefunden. Der Gesellschafter berichtete, dass nur er und die Arbeitnehmerin anwesend gewesen seien. Ausserdem sei das Gespräch nicht terminiert gewesen. Er habe die Arbeitnehmerin eher spontan für dieses Treffen angefragt, wobei er ihr im Vorfeld nichts zum Grund des Treffens gesagt habe.
Weiter führte der Gesellschafter aus, dass in der Bar über die generelle Situation in der Kanzlei, die finanzielle Situation und die Situation mit weiteren Mitarbeitenden gesprochen worden sei. Er habe mit der Arbeitnehmerin über die Liquidität der Kanzlei gesprochen und schliesslich im Verlaufe des Gesprächs konkret gefragt, ob sie auf Lohn verzichten würde. Gemäss dem Gesellschafter hat die Arbeitnehmerin einem Lohnverzicht zugestimmt. Dieser sei – und nun wird die Sache vollends unglaubwürdig – zeitlich nicht begrenzt worden, das heisst, es sei nicht zeitlich umrissen worden, wie lange der Lohn nicht ausbezahlt würde. Da drängt sich die Frage auf, ob das denn nicht irgendwie festgehalten worden ist. Der Gesellschafter führte dazu aus, dass er auf eine Schriftlichkeit verzichtet habe, da er dem Wort einer Freundin vertraut habe. Er ergänzte, dass er die Mitarbeiterin an diesem Abend in der Bar eingeladen habe.
Auch die Aussagen der Sekretariatsangestellten brachten kein Licht in diese Angelegenheit. Sie hatte nur vom Hörensagen überhaupt etwas über einen allfälligen Lohnverzicht der Arbeitnehmerin berichten können. Sie führte aus, dass sie vom Gesellschafter vernommen habe, dass die Arbeitnehmerin auf Lohn verzichtet habe, Details kenne sie nicht. Sie sei weder anlässlich des fraglichen Gesprächs in der Bar dabei gewesen, noch habe sie mit der Arbeitnehmerin darüber gesprochen.
Die Arbeitnehmerin ihrerseits bestritt, dass sie in irgendeiner Form auf Lohn verzichtet habe.
Das Arbeitsgericht hielt relativ deutlich und wenig überraschend fest, dass selbst wenn den Ausführungen des Gesellschafters gefolgt wird, festzuhalten sei, dass seiner Sachdarstellung jegliche Überzeugungskraft dafür abzusprechen sei, dass die Arbeitnehmerin am fraglichen Abend eine verbindliche Lohnverzichtserklärung für den Mai 2018 abgeben wollte. Das Arbeitsgericht qualifizierte den Rahmen des geltend gemachten Gesprächs als äusserst unverbindlich. Belege dafür sah es darin, dass selbst der Gesellschafter, welcher aus diesem Gespräch massgebliche Rechtsfolgen ableiten will, nicht genau wisse, wann das Gespräch stattgefunden habe. Auch das genannte Setting, ein spontaner Barbesuch nach Arbeitsschluss, mute wenig verbindlich an. Obwohl in einem Subordinations- und damit Abhängigkeitsverhältnis, wurde die Klägerin sodann auch gemäss dem Gesellschafter in keiner Art und Weise auf einen möglicherweise zur Diskussion stehenden Lohnverzicht hingewiesen oder ein geschäftlicher Grund für das Treffen in der Bar angekündigt. Er selber gab sogar an, während des Treffens spontan gefragt zu haben, ob sie auf Lohn verzichten würde.
Das Arbeitsgericht qualifizierte einen solchen Lohnverzicht als weitreichende Entscheidung und hätte entsprechend erwartet, dass der Arbeitnehmerin vorgängig angemessen Zeit eingeräumt wird, um sich mit der Thematik adäquat auseinanderzusetzen bzw. um ihr eine profunde Willensbildung zu ermöglichen. Da beides im geschilderten Kontext nicht gewährleistet gewesen sei, spreche dies gegen einen verbindlichen Charakter des geltend gemachten Gesprächsinhaltes.
Darüber hinaus – und dies fällt gemäss Arbeitsgericht am wesentlichsten ins Gewicht – wurde gemäss Schilderungen des Gesellschafters ein allfälliger Lohnverzicht zeitlich nicht umgrenzt, womit es auch inhaltlich an einer genügend konkreten Ausgestaltung der Anfrage mangelte. Gemäss Aussagen des Gesellschafters war seine Anfrage gegenüber der Klägerin jedenfalls nicht dahingehend konkretisiert, ob die Klägerin auf den Mailohn 2018 verzichten wolle.
Das Arbeitsgericht kam schliesslich zum Schluss, dass es der Anwaltskanzlei gestützt auf die Aussagen des Gesellschafters (und der Sekretariatsangestellten) nicht gelang, den Beweis, dass die Arbeitnehmerin rechtsgültig auf den Mailohn 2018 verzichtet habe, zu erbringen.
Würdigung und Exkurs
Ohne den genauen Sachverhalt im Detail zu kennen, fällt die Würdigung des Urteils relativ kurz aus: Es ist im Ergebnis absolut korrekt. Interessant ist aber die Frage, wieso der Entscheid lehrreich ist beziehungsweise weshalb es sich lohnt, sich den Fall einzuprägen. Auch dies lässt sich kurz und knapp formulieren. Er zeigt sehr anschaulich auf, wie es nicht gemacht werden soll und woran die Anwaltskanzlei im vorliegenden Fall scheiterte: Es ist die fehlende Schriftlichkeit. Schriftlichkeit – und das kann nicht oft genug gesagt werden – hilft in mehrfacher Hinsicht: sie erleichtert beziehungsweise ermöglicht den Beweis für behauptete Gegebenheiten, sie schafft Verbindlichkeit und sie ist im Endeffekt (siehe vorliegender Fall) pures Geld wert.
Im Arbeitsverhältnis ist in verschiedenen Bereichen dringend zu empfehlen, gewisse Aspekte schriftlich festzuhalten. Dies betrifft einerseits generelle Aspekte, die in einem Personalreglement geregelt werden können und anderseits individuelle Aspekte, wie z.B. Lohnverzicht oder Beteiligung an einer Weiterbildung mit entsprechender Verpflichtungszeit. Es betrifft zudem allfällige Unklarheiten im Arbeitsverhältnis und festgestellte Mängel in Leistung und Verhalten. Es ist keine Frage des Misstrauens den Arbeitnehmenden gegenüber, wenn Akten- und Gesprächsnotizen erstellt und im Optimalfall zusammen besprochen werden. Im Gegenteil bietet es die Grundlage für ein transparentes und verbindliches Arbeitsverhältnis, bei dem sowohl Arbeitgeberin als auch Arbeitnehmerin wissen, woran sie sind, und was gilt (Stichwort Verbindlichkeit).
Zum Schluss noch dies: Sollte Ihnen jemals in einer Bar in Zürich als Arbeitgeberin ein Lohnverzicht versprochen werden oder sollten Sie als Arbeitnehmerin jemals einen Lohnverzicht versprechen, empfehle ich Ihnen dringend, mindestens auf einem Bierdeckel die wesentlichen Punkte festzuhalten. Dazu gehören unter anderem Ort (Stadt reicht) und Datum, Gegenstand und Dauer des Verzichts, Nennung der Parteien und Unterschriften. Dies gilt für Sie als Arbeitgeberin übrigens auch, wenn Sie die Mitarbeiterin als Freundin bezeichnen und Sie zum Bier einladen. Ein solches Vorgehen ist eigentlich immer empfehlenswert aber insbesondere bei spontanen Vereinbarungen, bei denen keine vorgängige Schriftlichkeit im Rahmen von Vorbereitungshandlungen besteht.