Freiwilligenarbeit oder faktisches Arbeitsverhältnis?

Im Ur­teil vom 20. Ok­to­ber 2021 hat­te das Ar­beits­ge­richt Zü­rich die Fra­ge zu be­ur­tei­len, ob ein (ent­gelt­li­ches) Ar­beits­ver­hält­nis auch dann vor­liegt, wenn zwi­schen den Par­tei­en (Fuss­ball­trai­ner und Fuss­ball­ver­ein) kein Ar­beits­ver­trag ab­ge­schlos­sen wor­den ist oder ob es sich eher um ne­ben­be­ruf­li­che un­ent­gelt­li­che Frei­wil­li­gen­ar­beit handelt.

Abs­tract: Die Son­der­be­stim­mung von Art. 320 Abs. 2 OR sieht vor, dass un­ab­hän­gig da­von, ob die Par­tei­en ei­nen Ver­trag ge­wollt ha­ben oder nicht, die Ver­trags­ent­ste­hung vom Ge­setz an­ge­ord­net wird, wenn die Ar­beit­ge­be­rin Ar­beit in ih­rem Dienst auf Zeit ent­ge­gen­nimmt, de­ren Leis­tung nach den Um­stän­den nur ge­gen Lohn zu er­war­ten ist. Für die Be­ur­tei­lung ist ei­ne Wür­di­gung der ge­sam­ten ob­jek­ti­ven Um­stän­de vor­zu­neh­men. Kür­ze­re Ein­sät­ze und Ein­sät­ze, die in Ver­ei­nen oder an­de­ren Grup­pen mit ei­nem ideel­len Zweck ge­leis­tet wer­den, sind eher un­ent­gelt­lich, län­ge­re Ein­sät­ze und Ein­sät­ze, die in ei­nem ge­winn­ori­en­tier­ten Un­ter­neh­men ge­leis­tet wer­den und die ent­löhnt wür­den, wür­den sie von ei­ner re­gu­lär an­ge­stell­ten Per­son er­bracht, sind eher entgeltlich.

Der Entscheid

Dem Ent­scheid des Ar­beits­ge­richts Zü­rich (AH200140) vom 20. Ok­to­ber 2021 lag im We­sent­li­chen fol­gen­der Sach­ver­halt zu­grun­de: Ein Fuss­ball­trai­ner war bei ei­nem Fuss­ball­ver­ein un­ter der Wo­che je­den Abend von 17:30 Uhr bis 20:30 Uhr und an prak­tisch je­dem Wo­chen­en­de in sei­nen ver­schie­de­nen Funk­tio­nen als Ju­nio­ren­trai­ner, ‑lei­ter und J+S Coach tä­tig. Wäh­rend im Vor­jahr – un­ter dem vor­ma­li­gen Prä­si­di­um – ein be­fris­te­tes Ver­trags­do­ku­ment mit ei­nem Halb­jah­res­ge­halt von CHF 11’000.- be­stand, gab es für die zwei­te Jah­res­hälf­te 2019 kei­ne Schrift­lich­keit. Der Fuss­ball­ver­ein stell­te sich auf den Stand­punkt, dass der Trai­ner un­ent­gelt­li­che Tä­tig­keit zu­ge­si­chert ha­be, bis der Fuss­ball­ver­ein fi­nan­zi­ell wie­der sta­bil sei. Aus­ser­dem hand­le es sich beim Ver­ein um ei­ne ge­mein­nüt­zi­ge In­sti­tu­ti­on und im Fuss­ball auf die­ser Ebe­ne spre­che man von «Spe­sen» und nicht von Lohn. Der Trai­ner be­stritt die­se Dar­stel­lung und for­der­te den ent­spre­chen­den Lohn.

Das Ar­beits­ge­richt prüf­te, ob auch oh­ne ei­ne über­ein­stim­men­de Wil­lens­äus­se­rung ein Ver­trags­schluss durch Ent­ge­gen­nah­me von Ar­beit er­folgt sei. Ge­mäss Art. 320 Abs. 2 OR ist dies der Fall, wenn der Ar­beit­ge­ber Ar­beit in sei­nem Dienst auf Zeit ent­ge­gen­nimmt, de­ren Leis­tung nach den Um­stän­den nur ge­gen Lohn zu er­war­ten ist, wo­bei es al­lein auf die ob­jek­ti­ven Um­stän­de an­kommt. Für die­sen Fall ord­net Art. 320 Abs. 2 OR die Ver­trags­ent­ste­hung un­ab­hän­gig da­von an, ob die Par­tei­en ei­nen Ver­trag ge­wollt ha­ben oder nicht. Es ent­steht ein so­ge­nann­tes fak­ti­sches Ver­trags­ver­hält­nis. Die ge­setz­li­che Ver­mu­tung greift nur dann nicht, wenn die Un­ent­gelt­lich­keit der Tä­tig­keit nach­weis­lich und klar ver­ein­bart ist.

Das Ar­beits­ge­richt führ­te aus, dass bei ei­nem Ver­ein mit ei­nem ideel­len Zweck, die Zah­lung ei­nes Loh­nes nicht un­be­dingt auf der Hand lie­ge, wäh­rend dies bei ei­nem ge­winn­ori­en­tier­ten Un­ter­neh­men den Re­gel­fall dar­stel­le. Ganz we­sent­lich sei al­ler­dings der Zeit­fak­tor. Je kür­zer der Ar­beits­ein­satz, des­to eher müs­se Un­ent­gelt­lich­keit an­ge­nom­men wer­den; zeit­in­ten­si­ve (al­len­falls wie­der­keh­ren­de) Leis­tun­gen sprä­chen für Ent­gelt­lich­keit. Ob die ge­setz­li­che Ver­mu­tung von Art. 320 Abs. 2 OR zum Zu­ge kom­me, sei un­ter Wür­di­gung der ge­sam­ten Um­stän­de zu entscheiden.

Das Ar­beits­ge­richt kam zum Schluss, dass der Trai­ner – wie bei Mann­schafts­port­ar­ten üb­lich – in die Or­ga­ni­sa­ti­on des Ver­eins in­te­griert ge­we­sen sei. Zeit und Ort der Trai­nings hät­ten fest­ge­stan­den. Die Trai­nings hät­ten auf der Sport­an­la­ge statt­ge­fun­den und der Trai­ner ha­be mit dem Ma­te­ri­al des Fuss­ball­ver­eins ge­ar­bei­tet. Er sei in die Ver­eins­struk­tur ein­ge­glie­dert und den Wei­sun­gen des Ver­eins­prä­si­den­ten und des Vor­stands un­ter­stellt ge­we­sen. Und auch wenn der Fuss­ball­ver­ein gel­tend ma­che, dass in ei­nem ge­mein­nüt­zi­gen Ver­ein al­le frei­wil­lig und 99 % der Leu­te un­ent­gelt­lich ar­bei­ten wür­den, ha­be der Ver­ein letzt­lich vom Trai­ner Ar­beit ent­ge­gen­ge­nom­men, die in die­sem Um­fang nur ge­gen Lohn zu er­war­ten sei. Bei die­sen Um­stän­den ob­lie­ge es dem Ver­ein zu be­wei­sen, dass trotz der ge­setz­li­chen Ver­mu­tung von Art. 320 Abs. 2 OR Un­ent­gelt­lich­keit und da­mit ein ar­beits­ver­trags­ähn­li­cher Ver­trag sui ge­ne­ris (ein Ver­trag, der nicht aus­drück­lich ge­setz­lich ge­re­gelt ist) ver­ein­bart wor­den sei.

Der ge­for­der­te Be­weis war dem Fuss­ball­ver­ein nicht ge­lun­gen, wes­halb das Ar­beits­ge­richt dem Trai­ner ge­stützt auf Art. 320 Abs. 2 OR in Wür­di­gung der ge­sam­ten Um­stän­de für die ge­leis­te­te Tä­tig­kei­ten ei­ne Ent­schä­di­gung von CHF 7’333.- brut­to zu­sprach. Ge­gen das Ur­teil wur­de kein Rechts­mit­tel ergriffen.

Gedanken zum Entscheid

Bei die­sem Ent­scheid sind ins­be­son­de­re drei Aspek­te in­ter­es­sant: Die ge­setz­li­che Be­stim­mung von Art. 320 Abs. 2 OR, die Ab­gren­zung von Frei­wil­li­gen­ar­beit und Ar­beits­ver­hält­nis und der vom Ar­beits­ge­richt sta­tu­ier­te Grund­satz der Klarheit.

Art. 320 Abs. 2 OR. Be­mer­kens­wert an der Be­stim­mung von Art. 320 Abs. 2 OR ist, dass dar­in un­ab­hän­gig da­von, ob die Par­tei­en ei­nen Ver­trag ge­wollt ha­ben oder nicht, die Ver­trags­ent­ste­hung vom Ge­setz an­ge­ord­net wird, al­ler­dings nur dann, wenn die Ar­beit­ge­be­rin Ar­beit in ih­rem Dienst auf Zeit ent­ge­gen­nimmt, de­ren Leis­tung nach den Um­stän­den nur ge­gen Lohn zu er­war­ten ist.

Der Wil­le der Par­tei­en spielt kei­ne Rolle!

Für die Be­ur­tei­lung ist ei­ne Wür­di­gung der ge­sam­ten ob­jek­ti­ven Um­stän­de vor­zu­neh­men, wes­halb es auch ent­spre­chend schwie­rig ist, Fall­kon­stel­la­tio­nen zu bil­den (ab­ge­se­hen von der Ar­beit in der Fa­mi­lie, wo es kla­re Fall­kon­stel­la­tio­nen gibt). Der Recht­spre­chung lässt sich fol­gen­de ru­di­men­tä­re Auf­tei­lung entnehmen:

  • Kür­ze­re Ein­sät­ze und Ein­sät­ze, die in Ver­ei­nen oder an­de­ren Grup­pen mit ei­nem ideel­len Zweck ge­leis­tet wer­den, sind eher unentgeltlich.
  • Län­ge­re Ein­sät­ze und Ein­sät­ze, die in ei­nem ge­winn­ori­en­tier­ten Un­ter­neh­men ge­leis­tet wer­den und die ent­löhnt wür­den, wür­den sie von ei­ner re­gu­lär an­ge­stell­ten Per­son er­bracht, sind eher entgeltlich.

Als wei­te­re (eher un­ju­ris­ti­sche) Richt­schnur kann fol­gen­de Ein­schät­zung die­nen: Es kann doch nicht sein, dass da­für kein Lohn be­zahlt wird! Da­bei ist aber im­mer zu be­ach­ten, dass nur die­je­ni­gen (Ver­trags-) Be­zie­hun­gen für die An­wen­dung von Art. 320 Abs. 2 OR re­le­vant sind, bei de­nen das Be­stehen ei­nes Ar­beits­ver­tra­ges ge­ra­de un­klar ist. Es steht den Par­tei­en je­der­zeit frei, die Un­ent­gelt­lich­keit der Tä­tig­keit nach­weis­lich und aus­drück­lich zu ver­ein­ba­ren be­zie­hungs­wei­se das Ge­gen­teil zu ma­chen. Der Haupt­zweck der Be­stim­mung liegt im Schutz der Ar­beit­neh­men­den, die nicht um den Lohn­an­spruch ge­bracht wer­den sol­len, wenn der Lohn min­des­tens ein Grund un­ter vie­len war, die Leis­tung über­haupt zu er­brin­gen. Sie wird auch in Fäl­len zur An­wen­dung ge­bracht, in de­nen die Ar­beits­leis­tung im Hin­blick auf ei­ne mög­li­che (un­si­che­re) spä­te­re Ge­gen­leis­tung erfolgt.

Frei­wil­li­gen­ar­beit vs. Ar­beits­ver­hält­nis. Im Jahr 2019 be­tei­lig­ten sich ge­mäss Bun­des­amt für Sta­tis­tik 44 % der Wohn­be­völ­ke­rung der Schweiz als Ak­tiv­mit­glie­der an den Ak­ti­vi­tä­ten von Ver­ei­nen, Ge­sell­schaf­ten, Klubs, po­li­ti­schen Par­tei­en oder an­de­ren Grup­pen. Es ist da­von aus­zu­ge­hen, dass ein Gross­teil die­ses En­ga­ge­ments – so­fern es denn über­haupt über die rei­ne Mit­glied­schaft hin­aus­geht – un­ent­gelt­lich ge­leis­tet wird. In den meis­ten Fäl­len be­rei­tet die Fra­ge, ob die Be­tei­li­gung frei­wil­lig und un­ent­gelt­lich er­folgt, oder, ob ein Ar­beits­ver­hält­nis vor­liegt, kei­ner­lei Ab­gren­zungs­schwie­rig­kei­ten. Es ob­liegt grund­sätz­lich dem Wil­len der Par­tei­en, wel­che Art von Ver­hält­nis ein­ge­gan­gen wird. Ei­ne Aus­nah­me da­von bil­det – wie nun mehr­fach er­wähnt – Art. 320 Abs. 2 OR, bei wel­chem es nicht auf den tat­säch­li­chen oder nach Ver­trau­ens­prin­zip er­mit­tel­ten Wil­len an­kommt. Die Frei­wil­li­gen­ar­beit wird, was nicht wei­ter über­rascht, frei­wil­lig ein­ge­gan­gen, kann grund­sätz­lich je­der­zeit be­en­det wer­den und sie er­folgt un­ent­gelt­lich, sprich oh­ne Ge­gen­leis­tung in Form von Geld oder Na­tu­ra­li­en. Es be­steht we­der ei­ne Ar­beits- noch ei­ne Lohn­zah­lungs­pflicht und auch kein Sub­or­di­na­ti­ons­ver­hält­nis. Auch wei­te­re Rech­te und Pflich­ten wer­den in der Re­gel nicht ein­ge­gan­gen, wo­bei auch hier der Ein­zel­fall zu be­ach­ten ist. Auch ein Ar­beits­ver­trag wird (hof­fent­lich) frei­wil­lig ein­ge­gan­gen und dient der Ver­bes­se­rung der wirt­schaft­li­chen Leis­tungs­fä­hig­keit. Er ent­fal­tet Rech­te und Pflich­ten, die von bei­den Par­tei­en zu be­ach­ten sind und es be­steht ein Sub­or­di­na­ti­ons­ver­hält­nis. Der Ar­beits­ver­trag (be­zie­hungs­wei­se ge­wis­se Min­dest­vor­schrif­ten) ist ge­setz­lich ge­re­gelt und das Ver­trags­ver­hält­nis be­steht im Aus­tausch von Lohn ge­gen Arbeit.

Klar­heit. Es ist ei­ne Bin­sen­wahr­heit, dass Klar­heit und Trans­pa­renz in Ar­beits- oder ähn­li­chen Ver­hält­nis­sen drin­gend zu emp­feh­len sind. Trotz­dem kann es nicht oft ge­nug in Er­in­ne­rung ge­ru­fen wer­den, dass – ins­be­son­de­re ab ei­ner ge­wis­sen zeit­li­chen Dau­er – Klar­heit zu schaf­fen ist.

Nur Kla­res ist Wahres!

Die­se Klar­heit kann durch Schrift­lich­keit er­reicht wer­den. Es hilft letzt­end­lich bei­den Par­tei­en, wenn Klar­heit über das Ver­trags­ver­hält­nis be­steht. Nun mag viel­leicht (zu­recht) ein­ge­wen­det wer­den, dass ins­be­son­de­re zum Bei­spiel im Brei­ten­sport sehr häu­fig un­ent­gelt­li­che Frei­wil­li­gen­ar­beit ge­leis­tet wird. Min­des­tens der vor­lie­gen­de Fall, in dem der Fuss­ball­trai­ner ein (fast fi­xes) Pen­sum von deut­lich über 20 % ge­leis­tet hat, be­wegt sich aber weit aus­ser­halb die­ser häu­fi­gen un­ent­gelt­li­chen Frei­wil­li­gen­ar­beit. In den an­de­ren, we­ni­ger deut­li­chen Fäl­len, könn­te ei­ne – durch­aus auch knapp ge­hal­te­ne – Schrift­lich­keit aber ge­nau zur ge­wünsch­ten Klar­heit füh­ren. Das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Zü­rich zeigt, dass auch der Fuss­ball­ver­ein ein In­ter­es­se an Klar­heit hat, wur­de er, der sich so­wie­so schon in fi­nan­zi­el­len Schwie­rig­kei­ten be­fin­det, doch aus sei­ner Sicht un­ge­recht­fer­tigt zur Be­zah­lung des Lohns verpflichtet.

Über den Autor/die Autorin

Michael Oberdorfer

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