Drei Mythen zum Arbeitszeugnis

Ha­ben Sie sich schon mal über ein Ar­beits­zeug­nis ge­är­gert? Sei es, weil Sie als Ar­beit­neh­me­rin nicht zu­frie­den wa­ren, sei es, weil Sie als Ar­beit­ge­be­rin auf­grund ei­nes Zeug­nis­ses die Fä­hig­kei­ten ei­nes neu­en Ar­beit­neh­mers an­ders ein­ge­schätzt ha­ben. Mit Ar­beits­zeug­nis­sen ha­ben die al­ler­meis­ten – Ar­beit­neh­mer, Ar­beit­ge­ber, HR-Fach­leu­te, Ju­ris­ten, etc. – ir­gend­wann zu tun. Viel­leicht ge­ra­de des­halb ran­ken sich um das The­ma Ar­beits­zeug­nis zahl­rei­che My­then. Der nach­fol­gen­de Bei­trag geht drei häu­fig auf­tre­ten­den My­then auf den Grund. 

Arbeitszeugnis-Serie

Dies ist der ers­te Teil ei­ner mehr­tei­li­gen Se­rie über das Ar­beits­zeug­nis. Es wur­de schon viel über Ar­beits­zeug­nis­se ge­schrie­ben und ob­schon vie­les ge­klärt ist, er­ge­ben sich in der Pra­xis im­mer wie­der span­nen­de Fra­gen. Des­halb wid­met sich der Per­so­nal­rechts­blog die­sem The­ma et­was aus­führ­li­cher. Die ein­zel­nen Bei­trä­ge wer­den im Zwei-Wo­chen-Rhyth­mus auf dem Per­so­nal­rechts­blog ver­öf­fent­licht. Um kei­nen Bei­trag zu ver­pas­sen emp­feh­len wir, den News­let­ter zu abon­nie­ren. So sind Sie im­mer über die neus­ten Bei­trä­ge informiert. 

Abs­tract.: Im Zu­sam­men­hang mit Ar­beits­zeug­nis­sen be­stehen ver­schie­de­ne My­then. Drei da­von wer­den im vor­lie­gen­den Bei­trag ge­klärt. Der Ver­fas­ser ei­nes Ar­beits­zeug­nis­ses haf­tet nur dann für ein un­rich­ti­ges Zeug­nis, wenn die re­la­tiv ho­hen An­for­de­run­gen von Art. 41 Abs. 1 OR er­füllt sind. Es trifft nicht zu, dass die meis­ten Ar­beits­zeug­nis­se co­diert sind. Vie­le Ver­fas­ser sind schlicht­weg in der For­mu­lie­rung von Zeug­nis­sen nicht ge­übt, wes­halb sie un­kla­re For­mu­lie­run­gen ver­wen­den, was den Ein­druck er­weckt, es lie­ge ein co­dier­tes Zeug­nis vor. Ein gu­tes Ar­beits­zeug­nis gibt kei­ne Si­cher­heit da­für, dass es sich um ei­ne gu­te Mit­ar­bei­te­rin han­delt. Der Bei­trag schliesst mit dem Fa­zit, dass Ar­beits­zeug­nis­se als das ge­nom­men wer­den soll­ten, was sie sind: sub­jek­ti­ve, die Wahr­heits­pflicht teil­wei­se stra­pa­zie­ren­de und wohl­wol­len­de Beurteilungen.

Mythos Nr. 1 — Der Arbeitgeber haftet für ein zu gutes Arbeitszeugnis

Im­mer wie­der wird von Ar­beit­ge­bern ein­ge­wen­det, dass die­se oder je­ne For­mu­lie­rung nicht ver­wen­det wer­den kön­ne, da es 1. nicht zu­tref­fe und man 2. des­halb ge­gen­über ei­ner neu­en Ar­beit­ge­be­rin haft­pflich­tig wer­den könn­te. Dies ist grund­sätz­lich nicht falsch, da tat­säch­lich die Mög­lich­keit be­steht, dass man Drit­ten ge­gen­über haf­tet, wenn ein un­rich­ti­ges Zeug­nis aus­ge­stellt oder ein wich­ti­ger Punkt ver­schwie­gen wird. Die Hür­den für ei­ne sol­che Haf­tung sind aber aus­ge­spro­chen hoch. Ei­ne all­fäl­li­ge Haf­tung wür­de sich aus Art. 41 Abs. 1 OR er­ge­ben. Die­se Be­stim­mung setzt für ei­ne Haf­tung vor­aus, dass dem Drit­ten ein Scha­den ent­stan­den sein muss, der wi­der­recht­lich und schuld­haft ver­ur­sacht wur­de und bei dem ein un­mit­tel­ba­rer, ur­säch­li­cher Zu­sam­men­hang zwi­schen dem Scha­den und dem Han­deln des Schä­di­gers be­steht. So­weit er­sicht­lich hat das Bun­des­ge­richt bis­her erst in ei­nem Fall ei­ne Haf­tung be­jaht (BGE 101 II 69). In die­sem Fall wur­de ei­nem An­ge­stell­ten we­gen Ver­un­treu­ung ge­kün­digt, die Ver­un­treu­ung wur­de aber nicht im Ar­beits­zeug­nis er­wähnt. Beim neu­en Ar­beit­ge­ber liess der An­ge­stell­te wie­der­um Geld ver­schwin­den, wes­halb die neue Ar­beit­ge­be­rin den al­ten Ar­beit­ge­ber ein­klag­te und Scha­den­er­satz gel­tend mach­te. Die­se Kla­ge wur­de im Grund­satz vom Ge­richt gut­ge­heis­sen. Die­ser Fall zeigt, dass es sehr stark auf die Um­stän­de im Ein­zel­fall an­kommt und ei­ne Haf­tung nur in spe­zi­el­len Kon­stel­la­tio­nen denk­bar ist. Die Angst vor ei­ner all­fäl­li­gen Haf­tung soll­te des­halb Ar­beit­ge­be­rin­nen nicht dar­an hin­dern, et­was po­si­ti­ve­re For­mu­lie­run­gen zu wäh­len, ins­be­son­de­re dann nicht, wenn man zu­sam­men mit dem Mit­ar­bei­ter ei­nen Kom­pro­miss sucht, da­mit das Ar­beits­zeug­nis nicht Ge­gen­stand ei­ner ge­richt­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung wird. Er­heb­li­che, ne­ga­ti­ve Vor­komm­nis­se oder Ei­gen­schaf­ten, die ei­nem neu­en Ar­beit­ge­ber scha­den könn­ten, soll­ten hin­ge­gen er­wähnt wer­den, so­fern sie für das Ar­beits­ver­hält­nis prä­gend waren. 

Mythos Nr. 2 — Die meisten Arbeitszeugnisse sind codiert

Um die­sen My­thos wi­der­le­gen zu kön­nen, muss zu­erst ge­klärt wer­den, was ein co­dier­tes Ar­beits­zeug­nis ist. Ein sol­ches be­inhal­tet For­mu­lie­run­gen, die ab­sicht­lich «A» sa­gen aber «B» mei­nen. Im In­ter­net und in der Li­te­ra­tur kur­sie­ren zahl­rei­che Lis­ten, wie be­stimm­te For­mu­lie­run­gen zu ver­ste­hen sind. Wenn man re­gel­mäs­sig mit Ar­beits­zeug­nis­sen in Kon­takt kommt, dann fällt auf, dass ei­ne Art «Zeug­nis­spra­che» be­steht und sol­che For­mu­lie­run­gen im­mer wie­der ver­wen­det wer­den. Da es im­mer dar­um geht, die Leis­tung und das Ver­hal­ten ei­ner Mit­ar­bei­te­rin zu be­ur­tei­len, ist dies nicht wei­ter überraschend.

Die Ver­wen­dung von Codes in Ar­beits­zeug­nis­sen ist un­zu­läs­sig, da da­durch der Grund­satz der Klar­heit ver­letzt wird.

Da­mit aber von ei­nem co­dier­ten Ar­beits­zeug­nis ge­spro­chen wer­den kann, muss der Ver­fas­ser wil­lent­lich «A» schrei­ben und «B» mei­nen. Wenn nun ei­ne For­mu­lie­rung ver­wen­det wird, die zwar häu­fig als Code be­nutzt wird, beim Ver­fas­ser aber kei­ne bö­se Ab­sicht da­hin­ter­steckt, son­dern er schlicht­weg in der Er­stel­lung ei­nes Ar­beits­zeug­nis­ses nicht ge­übt ist, dann kann nicht wirk­lich von ei­ner Co­die­rung ge­spro­chen wer­den. Viel­mehr han­delt es sich um un­kla­re (un­ge­schick­te) For­mu­lie­run­gen, die aber auf­grund der be­stehen­den Lis­ten falsch ver­stan­den wer­den kön­nen, auch wenn sie pa­ra­do­xer­wei­se ge­nau­so ge­meint wie ge­schrie­ben sind. Al­len­falls könn­te man al­so fest­hal­ten, dass vie­le Ar­beits­zeug­nis­se un­kla­re For­mu­lie­run­gen be­inhal­ten. So­wohl wil­lent­lich co­dier­te als auch un­wil­lent­lich un­kla­re Ar­beits­zeug­nis­se sind zu kor­ri­gie­ren, da sie den Grund­satz der Klar­heit ver­let­zen. Bei un­ter­schied­li­chen An­sich­ten über das Ar­beits­zeug­nis wird emp­foh­len, vor ei­ner ge­richt­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung das Ge­spräch mit dem Ver­fas­ser zu su­chen. Ar­beit­ge­be­rin­nen ist zu ra­ten, sich über Codes zu in­for­mie­ren und For­mu­lie­run­gen, wel­che als Codes miss­ver­stan­den wer­den kön­nen, schlicht nicht zu verwenden. 

Mythos Nr. 3 — Gutes Arbeitszeugnis = Gute Mitarbeiterin

Lei­der lässt sich nicht pau­schal sa­gen, dass ein gu­tes Ar­beits­zeug­nis be­deu­tet, dass es sich bei der be­ur­teil­ten Mit­ar­bei­te­rin um ei­ne gu­te Mit­ar­bei­te­rin han­delt. Wie der oben zi­tier­te Bun­des­ge­richts­ent­scheid be­legt, wer­den ei­ner­seits bei der Er­stel­lung von Ar­beits­zeug­nis­sen Feh­ler ge­macht und an­der­seits wer­den teil­wei­se die Grund­sät­ze der Wahr­heit und des Wohl­wol­lens stark stra­pa­ziert. Aus­ser­dem gibt es im­mer wie­der Per­so­nen, die in der Er­stel­lung ei­nes Ar­beits­zeug­nis­ses nicht ge­übt sind und es kommt auch nicht sel­ten vor, dass An­ge­stell­te ih­re Ar­beits­zeug­nis­se selbst for­mu­lie­ren dür­fen. Ins­be­son­de­re müh­sa­me Mit­ar­bei­ter er­hal­ten oft ein ver­hält­nis­mäs­sig (zu) gu­tes Ar­beits­zeug­nis, da der Ar­beit­ge­ber die Aus­ein­an­der­set­zung scheut und froh ist, wenn man sich nicht mehr (auch nicht vor Ge­richt) se­hen muss. Die­ser Um­stand ist zu be­dau­ern, denn in sol­chen Fäl­len ist das Ar­beits­zeug­nis lei­der we­nig aussagekräftig. 

Die Wahr­heits­pflicht führt nicht au­to­ma­tisch zu ehr­li­chen und aus­sa­ge­kräf­ti­gen Arbeitszeugnissen.

Die Her­aus­for­de­rung für neue Ar­beit­ge­be­rin­nen liegt des­halb dar­in her­aus­zu­fin­den, wel­che Ar­beits­zeug­nis­se aus­sa­ge­kräf­tig sind und wel­che nicht. Da­bei ist auch dem Um­stand Rech­nung zu tra­gen, in wel­chem Kon­text Ar­beits­zeug­nis­se ver­fasst wer­den. HR-Pro­fis schrei­ben bei­spiels­wei­se an­de­re Ar­beits­zeug­nis­se als Be­triebs­in­ha­ber von klei­nen KMU’s. Meist ist es rat­sam, dem ein­zel­nen Ar­beits­zeug­nis nicht all­zu viel Ge­wicht zu ge­ben, son­dern viel­mehr ei­ne Ge­samt­wür­di­gung der Ar­beits­zeug­nis­se und der wei­te­ren vor­lie­gen­den In­for­ma­tio­nen vor­zu­neh­men. Ins­be­son­de­re auch das Ein­ho­len von Re­fe­ren­zen kann den ge­won­ne­nen Ein­druck über den Be­wer­ber ge­winn­brin­gend ergänzen. 

Werden Arbeitszeugnisse überschätzt?

Die­se Fra­ge könn­te man sich beim Le­sen der vor­an­ge­hen­den Punk­te durch­aus stel­len. Sie mit ja zu be­ant­wor­ten, wür­de aber in ih­rer Ab­so­lut­heit zu weit ge­hen. Wenn man Ar­beits­zeug­nis­se als das nimmt, was sie sind, näm­lich sub­jek­ti­ve (trotz ge­for­der­ter Ob­jek­ti­vi­tät), die Wahr­heits­pflicht teil­wei­se stra­pa­zie­ren­de und wohl­wol­len­de Be­ur­tei­lun­gen, dann kön­nen sie bei der Re­kru­tie­rung durch­aus nütz­lich sein. Aus­ser­dem kön­nen auch be­stimm­te, mehr oder we­ni­ger ge­si­cher­te, In­for­ma­tio­nen aus Ar­beits­zeug­nis­sen ge­won­nen wer­den. Es ist bei­spiels­wei­se kein Ge­heim­nis, dass ein vom Ar­beit­ge­ber ge­nann­tes Be­dau­ern über den Ab­gang ei­ner Mit­ar­bei­te­rin in der Re­gel echt ist. Beim Be­dau­ern über den Ab­gang, fin­det das Wohl­wol­len meist sei­ne Gren­ze. Wird der Ab­gang nicht be­dau­ert, wird dies auch nicht so for­mu­liert. Auch die Dau­er der An­stel­lung gibt oft ei­nen Hin­weis dar­auf, dass man wohl eher mit dem Mit­ar­bei­ter zu­frie­den war oder min­des­tens nicht kom­plett un­zu­frie­den, da man das Ar­beits­ver­hält­nis sonst frü­her be­en­det hät­te. Und das ge­nann­te Auf­ga­ben­feld des Mit­ar­bei­ters gibt in der Re­gel ehr­lich Aus­kunft dar­über, was der Mit­ar­bei­ter wäh­rend des letz­ten An­stel­lungs­ver­hält­nis­ses ge­macht hat.

Über den Autor/die Autorin

Michael Oberdorfer

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