Pflicht zur Prävention von sexueller Belästigung

In ei­ner neu­en Stu­die des Eid­ge­nös­si­schen Bü­ros für die Gleich­stel­lung von Frau und Mann und des Staat­s­e­kre­ta­ri­ats für Wirt­schaft wird ge­zeigt, dass mehr als die Hälf­te der Ar­beit­neh­men­den schon un­er­wünsch­te se­xis­ti­sche und se­xu­el­le Ver­hal­tens­wei­sen er­lebt ha­ben. Ei­ne gu­te Ge­le­gen­heit al­so, um die Pflicht zur Prä­ven­ti­on von se­xu­el­ler Be­läs­ti­gung in Er­in­ne­rung zu ru­fen und zu er­läu­tern, wel­che Mass­nah­men ge­nau von den Ar­beit­ge­ben­den zu er­grei­fen sind.

Ar­beit­ge­ben­de ha­ben die Pflicht zur Prä­ven­ti­on von se­xu­el­ler Be­läs­ti­gung. Wird dies un­ter­las­sen, kann es sein, dass sie ge­gen­über be­trof­fe­nen Per­so­nen ent­schä­di­gungs­pflich­tig wer­den. Die Prä­ven­ti­on um­fasst im Mi­ni­mum ei­ne Grund­satz­er­klä­rung, dass se­xu­el­le Be­läs­ti­gung nicht ge­dul­det wird, die ent­spre­chen­de In­for­ma­ti­on der Mit­ar­bei­ten­den und die De­kla­ra­ti­on ei­ner An­lauf­stel­le, an die sich die Mit­ar­bei­ten­den zum Zweck der In­for­ma­ti­on, Be­ra­tung und Un­ter­stüt­zung wen­den können.

Grundlagen und Definition

Ge­mäss Art. 4 des Gleich­stel­lungs­ge­set­zes ist je­des be­läs­ti­gen­de Ver­hal­ten se­xu­el­ler Na­tur oder ein an­de­res Ver­hal­ten auf­grund der Ge­schlechts­zu­ge­hö­rig­keit dis­kri­mi­nie­rend, das die Wür­de von Frau­en und Män­nern am Ar­beits­platz be­ein­träch­tigt. Ge­mäss Art. 328 Abs. 1 OR müs­sen die Ar­beit­ge­ben­den die Per­sön­lich­keit der Ar­beit­neh­men­den ach­ten und schüt­zen und auf de­ren Ge­sund­heit ge­büh­rend Rück­sicht neh­men und für die Wah­rung der Sitt­lich­keit sor­gen. Sie müs­sen ins­be­son­de­re da­für sor­gen, dass Ar­beit­neh­men­de nicht se­xu­ell be­läs­tigt wer­den und dass den Op­fern von se­xu­el­ler Be­läs­ti­gung kei­ne wei­te­ren Nach­tei­le entstehen.

Un­ter den Be­griff der se­xu­el­len Be­läs­ti­gung fal­len ins­be­son­de­re Dro­hun­gen, das Ver­spre­chen von Vor­tei­len, das Auf­er­le­gen von Zwang und das Aus­üben von Druck zum Er­lan­gen ei­nes Ent­ge­gen­kom­mens se­xu­el­ler Art. Wei­ter stel­len auch un­ter­wünsch­te se­xu­el­le An­nä­he­run­gen und Hand­lun­gen, die das An­stands­ge­fühl ver­let­zen, se­xu­el­le Be­läs­ti­gung dar. We­sent­lich da­bei ist, ob die Wür­de der be­trof­fe­nen Per­son be­ein­träch­tigt ist, die Ab­sicht der be­läs­ti­gen­den Per­son ist nicht ent­schei­dend. Für die Be­ur­tei­lung kann fol­gen­de ein­fa­che Re­gel an­ge­wen­det wer­den: Aus­schlag­ge­bend ist, wie das Ver­hal­ten der be­läs­ti­gen­den Per­son bei der be­trof­fe­nen Per­son an­kommt, ob sie es als er­wünscht oder un­er­wünscht empfindet.

Beispiele

Bei­spie­le, die se­xu­el­le Be­läs­ti­gung darstellen:

  • Hoch­zie­hen des T‑Shirts und das Strei­chen mit der Hand un­ter dem T‑Shirt über den nack­ten Rü­cken (BGE 137 IV 263).
  • Griff in den Schritt bzw. zwi­schen die Bei­ne (BGer 6B_702/2009).
  • Hand auf den Ober­schen­kel mit der Aus­sa­ge, dass die­ser “schön fest” sei (BGer 6P.123/2003).
  • In ei­ner für al­le zu­gäng­li­chen Gar­de­ro­be hän­gen Bil­der von nack­ten Frau­en, wel­che Män­ner auch ger­ne mit an­züg­li­chen Be­mer­kun­gen kommentieren.
  • Be­mer­kung ei­nes Vor­ge­setz­ten, der die Mü­dig­keit ei­ner Mit­ar­bei­te­rin be­merkt, ob sie die gan­ze Nacht Sex ge­habt hätte.
  • Ein Mit­ar­bei­ter zeigt sei­nem Kol­le­gen un­ge­fragt und ge­gen des­sen Wil­len Nackt­bil­der auf sei­nem Handy.

Bei­spie­le, die kei­ne se­xu­el­le Be­läs­ti­gung darstellen:

  • Flüch­tig Be­rüh­rung am Ober­schen­kel der Mit­ar­bei­te­rin über den Klei­dern (oh­ne wei­te­re Hand­lun­gen oder Aussagen).
  • Zwei Mit­ar­bei­te­rin­nen ma­chen an­züg­li­che Wit­ze. Es gibt kei­ne wei­te­ren Zuhörenden.
  • Ein Mit­ar­bei­ter um­armt und küsst sei­ne Kol­le­gin bei Ar­beits­be­ginn auf die Wan­ge, sie fühlt sich da­bei nicht unwohl.
  • Zwei Kol­le­gen klap­sen sich als Auf­mun­te­rung je­weils auf den Po.
  • Ei­ne Vor­ge­setz­te lädt ih­ren Mit­ar­bei­ten­den zum Nacht­es­sen ein. Er freut sich dar­auf, da er sich auch pri­vat mit ihr sehr gut versteht.

Die wichtigsten Pflichten der Arbeitgebenden

Die Ar­beit­ge­ben­den müs­sen auf­grund der Für­sor­ge­pflicht Mass­nah­men zum Schutz der Per­sön­lich­keit der Ar­beit­neh­men­den vor­se­hen. Hin­sicht­lich se­xu­el­ler Be­läs­ti­gung sind ins­be­son­de­re die nach­fol­gen­den Punk­te zu beachten:

  • Die Ar­beit­ge­ben­den ha­ben da­für zu sor­gen, dass die Ar­beit­neh­men­den nicht se­xu­ell be­läs­tigt wer­den. Dies gilt nicht nur für Be­läs­ti­gun­gen durch Mit­ar­bei­ten­de, son­dern auch für Be­läs­ti­gun­gen durch Lie­fe­ran­tin­nen und Kundinnen.
  • Die Ar­beit­ge­ben­den ha­ben da­für zu sor­gen, dass den Op­fern von se­xu­el­ler Be­läs­ti­gung kei­ne wei­te­ren Nach­tei­le entstehen.
  • Die Ar­beit­ge­ben­den müs­sen Mass­nah­men zur Prä­ven­ti­on von se­xu­el­ler Be­läs­ti­gung ergreifen.

Prävention von sexueller Belästigung

Ei­ne wir­kungs­vol­le Prä­ven­ti­on ba­siert auf den drei Grund­pfei­lern «Grund­satz­er­klä­rung», «In­for­ma­ti­on der Mit­ar­bei­ten­den» und «An­lauf­stel­le» (dies wird von der Recht­spre­chung re­gel­mäs­sig bestätigt).

Grund­satz­er­klä­rung. In ir­gend­ei­ner Form (in der Re­gel in ei­nem Re­gle­ment, Merk­blatt oder ähn­li­chem) muss fest­ge­hal­ten wer­den, dass se­xu­el­le Be­läs­ti­gung nicht ge­dul­det wird. Zu­dem soll­te ein Hin­weis auf Sank­tio­nen er­fol­gen, in­klu­si­ve dem Hin­weis, dass bei schwe­ren Fäl­len das Ar­beits­ver­hält­nis frist­los auf­ge­löst wer­den kann.

In­for­ma­ti­on der Mit­ar­bei­ten­den. Die Grund­satz­er­klä­rung bzw. das Re­gle­ment oder das Merk­blatt muss al­len Mit­ar­bei­ten­den be­kannt sein. Da­bei ist es hilf­reich, wenn se­xu­el­le Be­läs­ti­gung in die­sem Do­ku­ment de­fi­niert wird und am bes­ten auch gleich mit Bei­spie­len an­ge­rei­chert wird. Die Mit­ar­bei­ten­den müs­sen wis­sen, was se­xu­el­le Be­läs­ti­gung ist, dass sie nicht ak­zep­tiert wird und was zu tun ist, wenn sich trotz­dem ein Fall von se­xu­el­ler Be­läs­ti­gung er­eig­net. Der Bund bie­tet mit der Bro­schü­re «Se­xu­el­le Be­läs­ti­gung am Ar­beits­platz. Ein Rat­ge­ber für Ar­beit­neh­me­rin­nen und Ar­beit­neh­mer» er­gän­zen­de In­for­ma­tio­nen. Die Bro­schü­re kann be­stellt werden.

An­lauf­stel­le. Die Mit­ar­bei­ten­den müs­sen wis­sen, wo sie In­for­ma­ti­on, Be­ra­tung und Un­ter­stüt­zung er­hal­ten. Sie müs­sen al­so wis­sen, an wen sie sich wen­den kön­nen. Zu die­sem Zweck muss ei­ne An­lauf­stel­le be­zeich­net wer­den, wel­che mit fol­gen­den Auf­ga­ben be­traut ist:

  • Hört zu, schenk be­trof­fe­ner Per­son Glau­ben, ver­si­chert Vertraulichkeit
  • Hält Vor­fall kurz schrift­lich fest
  • Zeigt wei­te­re Hand­lungs­mög­lich­kei­ten, in­for­miert und berät
  • Kann im Ein­ver­ständ­nis mit der be­trof­fe­nen Per­son Ge­spräch mit be­läs­ti­gen­der Per­son, mit Vor­ge­setz­ten oder mit HR suchen

Ausblick auf zweiten Teil

In ei­nem zwei­ten Teil zur Prä­ven­ti­on von se­xu­el­ler Be­läs­ti­gung wer­den ins­be­son­de­re die in­ner­be­trieb­li­chen Zu­stän­dig­kei­ten und Auf­ga­ben er­läu­tert und Er­kennt­nis­se aus Ge­richts­fäl­len prä­sen­tiert, da­mit noch greif­ba­rer wird, wel­che prä­ven­ti­ven Mass­nah­men ef­fek­tiv ver­langt werden.

Über den Autor/die Autorin

Michael Oberdorfer

Neueste Beiträge

Ältere Beiträge

Stichwörter