In einem ersten Teil wurden die Grundlagen zur Prävention von sexueller Belästigung besprochen und die Pflichten der Arbeitgebenden wurden erläutert. Im vorliegenden zweiten Teil werden die innerbetrieblichen Zuständigkeiten und Aufgaben näher beschrieben und Erkenntnisse aus Gerichtsfällen präsentiert.
Arbeitgebende haben die Pflicht zur Prävention von sexueller Belästigung. Wird dies unterlassen, kann es sein, dass sie gegenüber betroffenen Personen entschädigungspflichtig werden. Die Prävention umfasst im Minimum eine Grundsatzerklärung, dass sexuelle Belästigung nicht geduldet wird, die entsprechende Information der Mitarbeitenden und die Deklaration einer Anlaufstelle, an die sich die Mitarbeitenden zum Zweck der Information, Beratung und Unterstützung wenden können.
Zuständigkeiten der Arbeitgeberin und der Führungskräfte
Bei den Zuständigkeiten muss unterschieden werden zwischen der Zuständigkeit der Arbeitgeberin als Gesamtes, der Zuständigkeit der einzelnen Führungskräfte und der Zuständigkeiten beziehungsweise den Aufgaben im HR.
Die Arbeitgeberin als Gesamtes ist dafür verantwortlich, dass eine Unternehmenspolitik gegen sexuelle Belästigung formuliert wird. Sie hat auf ein belästigungsfreies Arbeitsklima zu achten und Präventionsmassnahmen zu veranlassen. Dazu gehört im Minimum eine Grundsatzerklärung, dass sexuelle Belästigung nicht geduldet wird, die Information der Mitarbeitenden, was sexuelle Belästigung überhaupt ist und die Bezeichnung von Anlaufstellen beziehungsweise Ansprechpersonen (siehe Teil 1). Schliesslich hat die Arbeitgeberin dafür zu sorgen, dass eine entsprechende Schriftlichkeit besteht (Merkblatt und/oder Reglement).
Führungskräfte müssen konkret dafür sorgen, dass wirksame Präventionsmassnahmen ergriffen werden und allen Mitarbeitenden die Informationen zu sexueller Belästigung bekannt sind. Sie müssen sich um die Früherkennung kümmern und Sofortmassnahmen ergreifen, wenn es zu einem Vorfall kommt. Dazu gehört auch, dass sie sich so weit als möglich für die Lösung eines entsprechenden Konflikts einsetzen müssen.
Zuständigkeiten und Aufgaben des HR
Auch das HR hat sich für ein belästigungsfreies Arbeitsklima einzusetzen. Auf strategischer Ebene sollte dafür ein Konzept für die Durchführung von präventiven Massnahmen, für die Früherkennung und für die Auswahl und Ausbildung der Ansprechpersonen erstellt werden. Auf operativer Ebene hat das HR drei Hauptaufgaben:
Vertrauen schaffen. Optimalerweise positioniert sich das HR so selbstbewusst und emanzipiert, dass nicht der Anschein der Befangenheit (Klare Parteinahme für vorgesetzte Personen) entsteht. Die Mitarbeitenden sollten mit gutem Gefühl das HR aufsuchen und allfällige Anliegen deponieren können. Bestehen Anlaufstellen oder Ansprechpersonen muss sich das HR nicht selbst um die Fälle kümmern, sondern kann vertrauensvoll auf die korrekten Anlaufstellen und Ansprechpersonen verweisen.
Unterstützung anbieten. Wenn keine Anlaufstellen oder Ansprechpersonen bestehen, sollte das HR selbst die entsprechende Unterstützung für die Betroffenen anbieten. Wenn die genannten Stellen und Personen bestehen, dann sollte das HR für deren Unterstützung zur Verfügung stehen und für die entsprechende Aus- und Weiterbildung sorgen.
Kontrolle vornehmen. Die Kontrollaufgaben des HR in Bezug auf Prävention von sexueller Belästigung sind vielschichtig. Es muss kontrolliert werden, ob die Reglemente durch die Führungskräfte angewendet werden, ob die Entscheide bei konkreten Vorfällen vorgenommen und korrekt umgesetzt werden und ob auch ja nicht Vergeltungsmassnahmen gegen Betroffene oder Beobachtende vorgenommen werden.
Schliesslich sollte im Sinne eines Debriefings nach jedem Fall analysiert werden, ob eine adäquate Reaktion erfolgt ist, ob diese erfolgreich war und ob Learnings daraus gezogen werden können, beziehungsweise, ob eine Anpassung der vorhandenen Prozesse, Strukturen oder Dokumente angezeigt ist.
Anlaufstelle / Ansprechperson
Bei der «Anlaufstelle» kann es sich um eine interne oder externe Ansprechperson (Vertrauensperson) handeln. Wichtig dabei ist, dass es sich um eine vertrauenswürdige Person handelt, die geschätzt wird, verschwiegen und glaubwürdig ist. Im Optimalfall werden mindestens zwei Ansprechpersonen definiert, eine Frau und ein Mann. Es ist durchaus möglich, dass es sich dabei um HR-Mitarbeitende handelt. Dabei ist wichtig, dass diese nicht den Anschein von Befangenheit erwecken. Unabhängig davon, ob die Ansprechperson intern oder extern ist, sollte sie durch entsprechende regelmässige Weiterbildungen befähigt werden, ihre Aufgabe auszuführen.
Die Aufgaben der Ansprechperson bestehen in erster Linie im aktiven Zuhören und in der Schaffung eines sicheren und vertraulichen Rahmens. Der geschilderte Vorfall sollte kurz schriftlich festgehalten werden. Die Information und Beratung sollte die weiteren Handlungsmöglichkeiten möglichst konkret umfassen (z.B. Grenzen setzen, Nachricht schreiben, Verlauf schriftlich festhalten oder gar Strafanzeige stellen).
Falls die betroffene Person damit einverstanden ist, kann die Ansprechperson allein oder im Beisein der betroffenen Person das Gespräch mit der belästigenden Person, mit der vorgesetzten Person oder mit Mitarbeitenden aus dem HR suchen.
Erkenntnisse aus Gerichtsfällen
Die Gerichte beschäftigen sich regelmässig mit Fällen von sexueller Belästigung und damit auch mit der Prävention derselben. Folgende wichtigen Erkenntnisse können daraus abgeleitet werden:
- Präventionsmassnahmen, die nur über das firmeninterne Intranet zugänglich sind, werden als «nicht ausreichend» beurteilt.
- Wenn die Arbeitgeberin nicht nachweisen kann, dass sie angemessene Massnahmen gegen sexuelle Belästigung ergriffen hat, wird sie entschädigungspflichtig.
- Wenn Mitarbeitende nicht wissen, an wen sie sich wenden können und wenn es dem potentiellen Täter möglich ist, das potentielle Opfer direkt zu konfrontieren, sind die Präventionsmassnahmen beziehungsweise die Reaktion auf den Vorfall ungenügend und die Arbeitgeberin wird entschädigungspflichtig.
- Es genügt nicht als Präventionsmassnahmen, wenn den Mitarbeitenden – als einzige Präventionsmassnahme – lediglich die Ansprechperson bekannt ist. In einem solchen Fall wird die Arbeitgeberin entschädigungspflichtig.
- Es genügt nicht als Präventionsmassnahmen, wenn der Arbeitgeber davon ausgeht, dass ein offenes Arbeitsklima herrscht und er informiert wird, wenn es Probleme gibt. In einem solchen Fall fehlen Präventionsmassnahmen und der Arbeitgeber wird entschädigungspflichtig.
Nach der Aufzählung, was alles nicht ausreichend ist, um von Präventionsmassnahmen im geforderten Sinne zu sprechen, soll als Abschluss nochmals aufgeführt werden, was Gerichte als ausreichend bezeichnen:
- Wenn Arbeitgebende ausreichende Schutzmassnahmen ergreifen, so dass Belästigungen nicht länger andauern. Wenn sie die betroffene Person auf einen vorhandenen (öffentlich zugänglichen) Leitfaden oder auf die Möglichkeit, an eine Anlaufstelle zu gelangen, aufmerksam machen. Wenn Arbeitgebende eine Vertrauensperson mit Verschwiegenheitspflicht bezeichnen und die Mitarbeitenden darauf hinweisen, dass sexuelle Belästigung verboten ist.
Schliesslich sei an dieser Stelle auf die Broschüre «Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz – Informationen für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber» und auf den Ratgeber «Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz – Ein Ratgeber für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer» des SECO verwiesen, von denen dieser zweite Teil inspiriert worden ist.