Oft geraten Arbeitnehmer und Vorgesetzte in Detaildiskussionen über einzelne Wendungen in Arbeitszeugnissen. Meist führt das nicht weit, weil die Diskussion sich um Wahrnehmungen beider Seiten dreht und diese naturgemäss nun mal unterschiedlich sind. Zu wissen, über welche Aspekte sich eine Diskussion lohnt, und welches vernünftigerweise der Inhalt dieser Diskussion ist, setzt Kenntnis des Rechtsanspruchs voraus und etwas Pragmatismus bei der Herangehensweise.
Abstract: Im Prozess um den Inhalt eines Arbeitszeugnisses muss die Arbeitnehmerin diejenigen Tatsachen beweisen, welche zu einer besseren Bewertung führen sollten. Stört sich eine Arbeitnehmerin an einzelnen Formulierungen oder Bewertungen, so sollte sie – auch um einen allenfalls sinnlosen Prozess zu verhindern – zunächst prüfen, ob ihr ein Rechtsanspruch zukommt, eine Änderung zu verlangen. Ein solcher besteht bei Codierungen bzw. mehrdeutigen Formulierungen, bei unvollständiger Darstellung ihres Aufgabenbereichs und bei unzutreffender Bewertung ihrer Leistungen. Bei der Geltendmachung ist das Augenmerk auf den Gesamteindruck zu legen, welchen das Arbeitszeugnis vermittelt, und nicht auf einzelne Wörter, auf deren Änderungen isoliert betrachtet ohnehin kein Anspruch besteht.
Ausgangslage: prozessuale Hürden
Wird das Arbeitszeugnis erst einmal zum Gegenstand eines Prozesses, sind es die prozessualen Hürden, welche die Durchsetzung des Rechts erschweren. Will der Arbeitnehmer, dass die Qualität seiner Arbeit besser bewertet wird, ist er für das Vorliegen dieser Qualität beweispflichtig. Mit anderen Worten muss der Arbeitnehmer vor Gericht belegen, dass seine Arbeitsleistungen besser waren, als von seiner Arbeitgeberin im Zeugnis dargestellt. Der Gang vor Gericht macht deshalb nur Sinn, wenn von vornherein klar ist, dass sich die gewünschte Bewertung auf ein beweisbares Faktenfundament stützen lässt. Ist dies der Fall, so wird man den Arbeitgeber aber in den meisten Fällen auch vorprozessual dazu bewegen können, seine Bewertung anzupassen. In den übrigen Fällen, in welchen die Beweisführung schwerfällt, lohnt es sich ebenso, das Gespräch mit dem Arbeitgeber zu suchen, und mit ihm eine Einigung zu finden. Nicht allein bezüglich des Vorgehens ist gesunder Pragmatismus ratsam; auch inhaltlich lässt sich zwar über alles, aber lohnt sich nicht über vieles zu streiten. Sich dessen bewusst zu sein, worüber sich zu streiten lohnt, schont die Ressourcen, reduziert den Ärger (auf beiden Seiten) und trägt unter Umständen dazu bei, die professionelle Beziehung zum Arbeitgeber über das Ende der Anstellung zu bewahren, auch wenn man sich über einzelne Aspekte womöglich uneins bleibt.
Aspekte
Mehrdeutige Formulierungen. Arbeitnehmerinnen stören sich bei der Durchsicht von Zeugnisentwürfen oft an einzelnen Formulierungen. Sie sind der Meinung, dass dieses oder jenes Adjektiv ihren Einsatz nicht in seiner Gänze einzufangen vermag, oder empfinden es als undankbar, dass ihr Vorgesetzter nicht sein Bedauern über ihren Weggang ausdrückt. Menschlich gesehen ist das nachvollziehbar. Rechtlich gesehen aber haben Arbeitnehmer keinen Anspruch auf bestimmte Formulierungen oder die Verwendung bestimmter, wenn auch weit verbreiteter, Floskeln. Worauf hingegen ein Rechtsanspruch besteht, ist ein wahrheitsgemässes und vor allen Dingen widerspruchsfreies Arbeitszeugnis. Daraus leitet sich das Codierungsverbot ab, d.h. das Verbot, bestimmte Wendungen zu nutzen, welche zwar positiv klingen, inhaltlich aber eine andere Aussage machen (vgl. Blogbeitrag vom 14. April 2019).
Es besteht kein Anspruch auf bestimmte, aber auf
widerspruchsfreie Formulierungen.
Wenn der Verdacht besteht, dass ein solcher Code verwendet wurde, dann lohnt es sich, den Arbeitgeber direkt darauf anzusprechen und zu fordern, dass darauf verzichtet wird. Arbeitgeber ohne professionelles HR verwenden solche Codes mitunter unwissentlich, weil die Formulierungen so geläufig sind oder weil sie sich aus alten Zeugnissen inspirieren lassen, ohne sich darüber Rechenschaft abzulegen, was sie mit der bestimmten Wendung überhaupt aussagen bzw. aussagen wollen. Nicht nur bei Codes, sondern generell bei Formulierungen worüber der Arbeitnehmer bei der Durchsicht stolpert, lohnt es sich, beim Arbeitgeber nachzuhaken. Wenn man selbst beim Durchlesen der eigenen Bewertung strauchelt, weil man eine Wendung nicht versteht oder diese Fragen aufwirft, dann wird ein potenzieller zukünftiger Arbeitgeber das womöglich auch. Diese Verunsicherung beim Leser muss ein Arbeitnehmer nicht hinnehmen. Ist die Formulierung objektiv gesehen unklar, dann hat die Arbeitnehmerin einen Rechtsanspruch darauf, dass diese Formulierung angepasst wird, weil sie Anspruch auf ein widerspruchsfreies Zeugnis hat.
Unvollständiges Abbild der Tätigkeiten. Arbeitnehmer haben einen Anspruch darauf, dass ihr Arbeitszeugnis eine detaillierte Auflistung der wichtigsten von ihnen ausgeführten Funktionen enthält. Nicht alles, was ein Arbeitnehmer im Laufe seiner – mitunter sehr langen – Anstellung in den Diensten der Arbeitgeberin gemacht hat, verdient Aufnahme in das Schlusszeugnis, sicher aber die das Arbeitsverhältnis prägenden Tätigkeiten. Dabei ist auf die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit abzustellen; es besteht kein Anspruch auf Erwähnung von Tätigkeiten, welche ursprünglich im Stellenbeschrieb oder Pflichtenheft angedacht, dann aber – warum auch immer – nicht ausgeführt wurden. Nicht nur auf die Auflistung der Tätigkeiten, sondern auch auf deren zeitliche Gewichtung hat der Arbeitnehmer einen Rechtsanspruch. Umgekehrt muss er sich auch gefallen lassen, dass eine zwar prägende, aber im Vergleich zu anderen zeitlich weniger umfangreiche Tätigkeit als solche bezeichnet wird. Dies kann aussagekräftig sein, wenn es darum geht, die Arbeitserfahrung mit Bezug auf eine bestimmte Tätigkeit abzuschätzen. Mit Bezug auf diese Aspekte erweist sich ein Gespräch oft als zielführend, denn bezüglich Tätigkeiten und deren Gewichtung herrscht regelmässig Konsens bzw. kann dieser rasch hergestellt werden, indem die subjektiven Wahrnehmungen mittels Belegen (Arbeitsrapporten, etc.) objektiviert werden.
Unzutreffende Bewertung der Arbeitsleistung. Die Beurteilung der Leistungen des Arbeitnehmers bildet das Kernstück des Arbeitszeugnisses. Selbstredend sind Beurteilungen stets subjektiv gefärbt, hängen mitunter auch von den innerbetrieblichen Anforderungen an die Belegschaft ab. Dessen ungeachtet hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf eine Bewertung seiner Arbeit anhand objektiver Kriterien unter Berücksichtigung seiner bisherigen Arbeitserfahrung. Ein Dritter, welcher weder den Arbeitnehmer noch den Arbeitgeber kennt, sollte aufgrund des Arbeitszeugnisses einen realistischen Eindruck von der Arbeitsleistung bekommen. Vor diesem Hintergrund wird geraten, bei der Durchsicht des Arbeitszeugnisses das Augenmerk weniger auf einzelne Wörter zu legen, als sich vielmehr zu fragen, ob der Gesamteindruck über die Qualität der Leistung stimmig und zutreffend ist. Stimmt die Darstellung der Leistungen sowohl in qualitativer als auch quantitativer Hinsicht mit den belegbaren Feedbacks (Mitarbeiterbeurteilungen, frühere Zwischenzeugnisse, leistungsabhängige Boni, etc.) überein, oder besteht hier eine Lücke, welche sich der betreffende Arbeitnehmer nicht erklären kann? Falls eine solche Lücke besteht, sollte unbedingt das Gespräch mit dem Arbeitgeber gesucht werden und das Anliegen unter Verweis auf die entsprechenden Belege adressiert werden. Dabei ist nötigenfalls daran zu erinnern, dass das Arbeitszeugnis im Sinne des beruflichen Fortkommens der Arbeitnehmerin eine wohlwollende Beurteilung sein soll.
Dies ist der letzte Teil einer mehrteiligen Serie über das Arbeitszeugnis. Um Neuigkeiten aus dem Personal- und Arbeitsrecht nicht zu verpassen empfehlen wir, den Newsletter zu abonnieren, welcher Sie über neue Beiträge auf diesem Blog informiert.