Falsche Zeiterfassung als schwerwiegender Verstoss gegen Treuepflicht

Die wie­der­hol­te Fal­scherfas­sung der Ar­beits­zeit zu­un­guns­ten der städ­ti­schen Ar­beit­ge­be­rin stellt ge­mäss dem Ver­wal­tungs­ge­richt Zü­rich ei­ne schwer­wie­gen­de Ver­let­zung der Treue­pflicht der Ar­beit­neh­me­rin dar und recht­fer­tigt ei­ne Kün­di­gung oh­ne vor­gän­gi­ge Mahnung.

Abs­tract: Der Mit­ar­bei­te­rin, wel­che über ein re­la­tiv ho­hes Mass an Au­to­no­mie bei der Zeit­er­fas­sung ver­fügt, wird da­mit ein Ver­trau­en ent­ge­gen­ge­bracht, wel­ches sie bei nicht kor­rek­ter Er­fas­sung der Zeit ver­let­zen kann, und zwar so sehr, dass sie da­mit ei­nen Grund für ei­ne Kün­di­gung setzt. Weil der Ver­trau­ens­ver­lust ir­repa­ra­bel ist, muss die Ar­beit­ge­be­rin in ei­nem sol­chen Fall kei­ne Be­wäh­rungs­frist ansetzen.

Der Sachverhalt

Dem Ent­scheid VB.2023.00146 lag im We­sent­li­chen fol­gen­der Sach­ver­halt zu­grun­de:
Die Mit­ar­bei­te­rin war be­reits seit 2006 bei ei­ner Dienst­ab­tei­lung der Stadt Zü­rich an­ge­stellt, als ihr we­gen schwer­wie­gen­der Ver­hal­tens­män­gel per 31. März 2019 ge­kün­digt wur­de.
Aus­lö­ser für die Kün­di­gung war ei­ne all­ge­mei­ne Über­prü­fung der Ver­gü­tungs­an­sprü­che von Kos­ten für ÖV-Bil­let­te. Da­bei kon­trol­lier­te die be­tref­fen­de Dienst­ab­tei­lung auch be­reits ein­ge­reich­te Spe­sen­be­le­ge (das heisst, Ta­ges­wahl­kar­ten des ZVV der Mit­ar­bei­te­rin), und stell­te da­bei fest, dass die Stem­pel­zei­ten auf den Bil­let­ten nicht mit den von der Mit­ar­bei­te­rin im Zeit­er­fas­sungs­sys­tem (ProT­ime) er­fass­ten Zei­ten über­ein­stimm­ten. Ins­be­son­de­re er­fass­te die Mit­ar­bei­te­rin mehr­fach ei­nen Ar­beits­be­ginn, der vor der auf der ZVV-Fahr­kar­te er­fass­ten Stem­pel­zeit lag. Ge­mäss den Fest­stel­lun­gen des Be­zirks­rats hat­te die Mit­ar­bei­te­rin wäh­rend knapp 8 Mo­na­ten  an 35 Ta­gen ih­re Ar­beits­zeit nicht kor­rekt er­fasst, wo­bei sie an 15 Ta­gen mehr als 15 Mi­nu­ten (und da­von an 6 Ta­gen über ei­ne hal­be Stun­de) zu viel Ar­beits­zeit ver­buch­te. In die­sem Zeit­raum ar­bei­te­te die Mit­ar­bei­te­rin auf­grund ih­res 40%-Pensums le­dig­lich an 65 Ta­gen, das heisst, die Ab­wei­chun­gen be­tra­fen mehr als die Hälf­te der Ar­beits­ta­ge, wo­bei an je­dem vier­ten Ar­beits­tag ei­ne Dif­fe­renz von mehr als 15 Mi­nu­ten bestand.

Nach Ent­de­ckung die­ser Dis­kre­pan­zen fand am 12. No­vem­ber 2018 ein Ge­spräch statt, an­läss­lich des­sen die Mit­ar­bei­te­rin über die Kün­di­gungs­ab­sicht we­gen schwer­wie­gen­der Ver­hal­tens­män­gel in­for­miert wurd­de. Per 16. No­vem­ber 2018 wur­de die Mit­ar­bei­te­rin vor­sorg­lich frei­ge­stellt und am 23. No­vem­ber 2018 wur­de ihr an­läss­lich ei­nes Ge­sprächs das recht­li­che Ge­hör da­zu gewährt.

Auf Ein­spra­che der Mit­ar­bei­te­rin hin be­stä­tig­te der Stadt­rat am 15. Ja­nu­ar 2020 die Kün­di­gung. Ge­gen die­se Kün­di­gung er­hob die Mit­ar­bei­te­rin Re­kurs beim Be­zirks­rat Zü­rich und be­an­trag­te, un­ter Ent­schä­di­gungs­fol­ge sei die Stadt Zü­rich an­zu­wei­sen, sie “mit der bis­he­ri­gen Ar­beit”, even­tua­li­ter “mit ei­ner an­de­ren zu­mut­ba­ren Ar­beit” wei­ter­zu­be­schäf­ti­gen. Sube­ven­tua­li­ter be­an­trag­te sie ei­ne Ent­schä­di­gung in der Hö­he von sechs Mo­nats­löh­nen und ei­ne Ab­fin­dung in der Hö­he von acht Mo­nats­löh­nen. Am 30. No­vem­ber 2022 – al­so ein­ein­halb Jah­re nach Re­kurs­er­he­bung – zog sie die An­trä­ge um Wei­ter­be­schäf­ti­gung zu­rück. Mit Be­schluss vom 9. Fe­bru­ar 2023 hiess der Be­zirks­rat den Re­kurs im Sinn der Er­wä­gun­gen teil­wei­se gut und ver­pflich­te­te die Stadt Zü­rich, der Mit­ar­bei­te­rin ei­ne Ent­schä­di­gung von drei Brut­to­mo­nats­löh­nen und ei­ne Ab­fin­dung zu ent­rich­ten. Dar­auf­hin er­hob die Stadt Zü­rich Be­schwer­de beim Ver­wal­tungs­ge­richt und be­an­trag­te im We­sent­li­chen die Auf­he­bung des Be­schlus­ses des Be­zirks­rats Zü­rich vom 9. Fe­bru­ar 2023

Der Entscheid

Das Ver­wal­tungs­ge­richt gab zu­erst die bun­des­ge­richt­li­che Recht­spre­chung zur Fra­ge der Ma­ni­pu­la­ti­on von Zeit­er­fas­sungs­sys­te­men wie­der und hielt fest, dass Ma­ni­pu­la­tio­nen des Zeit­er­fas­sungs­sys­tems oder Falsch­bu­chun­gen ei­nen schwer­wie­gen­den Ver­stoss ge­gen die Treue­pflicht der Ar­beit­neh­me­rin dar­stel­len, wo­bei nicht die Hö­he des beim Ar­beit­ge­ber ent­stan­de­nen Scha­dens, son­dern der da­mit ver­bun­de­ne Treue­bruch ent­schei­dend ist. Ob ein sol­ches Ver­hal­ten die so­for­ti­ge Be­en­di­gung des Ar­beits­ver­hält­nis­ses recht­fer­tigt, hängt von den Um­stän­den des Ein­zel­falls ab, wo­bei ins­be­son­de­re von Be­deu­tung ist, wie lan­ge das Ar­beits­ver­hält­nis bis­her ge­dau­ert hat, ob das Ver­hal­ten wie­der­holt vor­kam und ob der Ar­beit­neh­me­rin be­kannt sein muss­te, dass Täu­schun­gen oder Ma­ni­pu­la­tio­nen im Be­reich der Zeit­er­fas­sung nicht to­le­riert wür­den (Erw. 6.2.1).

Die Stadt Zü­rich qua­li­fi­zier­te die Falsch­bu­chun­gen der Mit­ar­bei­te­rin im ProT­ime als schwer­wie­gen­den Ver­hal­tens­man­gel im Sinn von Art. 18 Abs. 3 ih­res Per­so­nal­re­gle­ments. Ein Fall von gro­bem Fehl­ver­hal­ten al­so, der zwar kei­ne frist­lo­se Auf­lö­sung des An­stel­lungs­ver­hält­nis­ses zu­lässt, aber auch kei­ne Be­wäh­rungs­frist mehr recht­fer­tigt. Die­se Qua­li­fi­ka­ti­on sei ge­mäss dem Ver­wal­tungs­ge­richt nicht zu be­an­stan­den, zu­mal Ma­ni­pu­la­tio­nen des Zeit­er­fas­sungs­sys­tems oder Falsch­bu­chun­gen dar­in – wie dar­ge­legt – un­ter Um­stän­den selbst ei­ne frist­lo­se Kün­di­gung recht­fer­ti­gen könn­ten. Das Ver­wal­tungs­ge­richt prüf­te des­halb in der Fol­ge, ob auf­grund der kon­kre­ten Um­stän­de auf ei­ne vor­gän­gi­ge Mah­nung hat ver­zich­tet wer­den kön­nen. Die Stadt Zü­rich hat­te sich auf den Stand­punkt ge­stellt, dass auf­grund des tief­grei­fen­den und un­wi­der­ruf­li­chen Ver­trau­ens­ver­lusts ei­ne Mah­nung zweck­los ge­we­sen wäre.

Die Hö­he des Scha­dens ist nicht entscheidend.

Bei die­ser Be­ur­tei­lung mass das Ver­wal­tungs­ge­richt dem Um­stand gros­ses Ge­wicht zu, dass die Mit­ar­bei­te­rin be­tref­fend Zeit­er­fas­sung auf­grund der Aus­ge­stal­tung ih­rer Ar­beit mit vie­len Aus­sen­ter­mi­nen ein ho­hes Mass an Ver­trau­en ge­noss. Die Selbst­er­fas­sung sei zwar grund­sätz­lich feh­ler­an­fäl­li­ger und auch leich­ter ma­ni­pu­lier­bar als et­wa tech­ni­sche Zeit­er­fas­sungs­ge­rä­te wie Stem­pel­uh­ren, wes­halb sie von den Mit­ar­bei­ten­den ei­ne grös­se­re Dis­zi­plin ver­lang­ten. Gleich­zei­tig brin­ge der Ar­beit­ge­ber al­len Mit­ar­bei­ten­den, die ih­re Ar­beits­zeit selb­stän­dig mit­tels ProT­ime er­fas­sen wür­den, ein gros­ses Ver­trau­en be­züg­lich der kor­rek­ten Er­fas­sung der Ar­beits­zeit ent­ge­gen. Zu Recht be­to­ne die Ar­beit­ge­be­rin in die­sem Kon­text, dass ei­ne Kon­trol­le der Ar­beits­zei­ten bei Aus­sen­ter­mi­nen schlicht nicht mög­lich sei. Das Ver­wal­tungs­ge­richt kam des­halb zum Schluss: «Es ist nach­voll­zieh­bar, dass das Ver­trau­en der Be­schwer­de­füh­re­rin in ih­re Mit­ar­bei­te­rin durch die Ent­de­ckung der fal­schen Ar­beits­zeit­er­fas­sung (an ei­ner Viel­zahl von Ar­beits­ta­gen in­ner­halb ei­nes be­schränk­ten Zeit­raums) er­heb­lich be­ein­träch­tigt wur­de». Die Hö­he des durch die Fehl­bu­chun­gen ent­stan­de­nen Scha­dens sei da­bei nicht von ent­schei­den­der Be­deu­tung, son­dern viel­mehr der mit der Ma­ni­pu­la­ti­on bei der Ar­beits­zeit­er­fas­sung ver­bun­de­ne Treue­bruch. Die­sem Aspekt ha­be die Vor­in­stanz zu we­nig Ge­wicht bei­gemes­sen, zu­mal der Mit­ar­bei­te­rin be­reits auf­grund der Aus­ge­stal­tung ih­rer Tä­tig­keit bzw. den da­bei not­wen­di­gen Aus­sen­ter­mi­nen ein gros­ses Ver­trau­en ent­ge­gen­ge­bracht wer­den musste.

Das Ver­wal­tungs­ge­richt heg­te auch auf­grund der zeit­li­chen Ab­läu­fe und ins­be­son­de­re der Tat­sa­che, dass die Be­schwer­de­geg­ne­rin um­ge­hend frei­ge­stellt wur­de, kei­ne Zwei­fel am gel­tend ge­mach­ten Ver­trau­ens­ver­lust. Und we­gen die­ses Ver­trau­ens­ver­lusts war es nicht not­wen­dig, vor Aus­spre­chen der Kün­di­gung ei­ne Mah­nung auszusprechen.

Gedanken zum Entscheid

Das Ver­wal­tungs­ge­richt bringt es letzt­lich auf die Lo­sung: je mehr Ver­trau­en ein Mit­ar­bei­ter er­hält, des­to leich­ter kann die­ses zer­stört wer­den. Zu­erst ist nüch­tern fest­zu­stel­len, dass Ver­trau­en über­haupt nur in­so­weit zer­stört wer­den kann, als es exis­tiert. Die Fra­ge ist aber, wie lässt sich ver­letz­tes Ver­trau­en er­ken­nen? Es han­delt sich da­bei um ei­ne in­ne­re Tat­sa­che, die es durch äus­se­re Um­stän­de zu be­wei­sen, oder je­den­falls glaub­haft zu ma­chen gilt. Und hier muss da­vor ge­warnt wer­den, vom äus­se­ren Um­stand Kün­di­gung oh­ne Be­wäh­rungs­frist auf die in­ne­re Tat­sa­che Ver­trau­ens­ver­lust zu schlies­sen. Das tat das Ver­wal­tungs­ge­richt nicht, denn es prüf­te, ob die Um­stän­de den be­haup­te­ten Ver­trau­ens­ver­lust ob­jek­tiv nach­voll­zieh­bar ma­chen. Das Ver­wal­tungs­ge­richt hat auch ge­prüft, ob der Ver­trau­ens­ver­lust der Ar­beit­ge­be­rin zu­zu­rech­nen ist. Wenn das Ver­trau­en zwar zer­stört wur­de, der Ar­beit­ge­ber hier­zu in­des ei­ne be­trächt­li­che Mit­ver­ant­wor­tung trägt – et­wa weil er die ge­bo­te­ne Kon­trol­le nicht wal­ten liess – dann kann das ver­letz­te Ver­trau­en nach der hier ver­tre­te­nen Mei­nung dem Mit­ar­bei­ter nicht vor­ge­wor­fen wer­den, und als­dann die­sem nicht als Kün­di­gungs­grund vor­ge­hal­ten wer­den. Die­se Prü­fung ist sehr an­spruchs­voll, denn letzt­lich kommt sie nicht oh­ne ein gros­ses Mass an Wer­tung aus, Wer­tung der Rol­le und Ver­ant­wor­tung ei­ner Stel­len­in­ha­be­rin in­ner­halb der Arbeitsorganisation. 

Das Mass an Au­to­no­mie kann für sich ge­nom­men nicht ent­schei­dend sein.

Das Ver­wal­tungs­ge­richt kam hier zum Schluss, dass ge­ra­de die Au­to­no­mie, wel­che der Mit­ar­bei­te­rin ein­ge­räumt wor­den war, die­ses Ver­trau­en be­grün­det hat und des­sen Ver­let­zung als ver­ständ­lich er­schei­nen liess. Das Mass an Au­to­no­mie für sich al­lein ge­nom­men kann aber bei die­ser Fra­ge nicht ent­schei­dend sein, son­dern viel­mehr, ob der Ar­beit­ge­ber die­se Au­to­no­mie zu­recht ein­ge­räumt hat, oder nicht. Au­to­no­mie ver­stan­den als Ab­we­sen­heit ei­ner cu­ra in cus­to­dien­do (Sorg­falt in der Kon­trol­le) näm­lich, kann kein Ver­trau­en begründen.

Bemerkungen zur Verfahrensdauer vor Vorinstanz

Zwi­schen Re­kurs­ein­gang und Re­kurs­ent­scheid la­gen fast drei Jah­re, so­dass das Ver­wal­tungs­ge­richt ein Per­so­nal­recht an­zu­wen­den hat­te, wel­ches zum Ur­teils­zeit­punkt seit über vier Jah­ren nicht mehr in Kraft war. Auch aus die­sem Grund ist ei­ne Ver­fah­rens­dau­er vor ers­ter In­stanz von drei Jah­ren an sich nicht zu ver­tre­ten. Vor­lie­gend war dem Re­kurs­ver­fah­ren ein Ein­spra­che­ver­fah­ren beim Stadt­rat vor­aus­ge­gan­gen, was da­zu führ­te, dass der Re­kurs erst en knap­pes Jahr nach aus­ge­spro­che­ner Kün­di­gung über­haupt erst er­ho­ben wer­den konn­te. Be­son­ders in per­so­nal­recht­li­chen Strei­tig­kei­ten er­scheint sie aber in je­dem Fall zu hoch. Die Be­las­tung durch ei­nen Pro­zess ist ge­ra­de für Pri­vat­per­so­nen mit­un­ter enorm. Vor­lie­gend hat die Re­kur­ren­tin ur­sprüng­lich gar die Wei­ter­be­schäf­ti­gung ge­for­dert, was un­ter städ­ti­schem Per­so­nal­recht mög­lich ist, hat dann aber En­de 2022 die­ses Be­geh­ren zu­rück­ge­zo­gen. Man kann sich vor­stel­len, dass fast vier Jah­re nach er­folg­ter Kün­di­gung das In­ter­es­se an ei­ner Wei­ter­be­schäf­ti­gung nicht mehr vor­han­den ist. Sieht das ma­te­ri­el­le Recht ei­ne sol­che vor, müs­sen Rechts­mit­tel­in­stan­zen dar­um be­müht sein, die­sem Recht zum Durch­bruch zu ver­hel­fen, was sich in sol­chen Fäl­len in der Ver­fah­rens­dau­er nie­der­schla­gen muss. Auch die öf­fent­lich-recht­li­che Ar­beit­ge­be­rin hat ein vi­ta­les In­ter­es­se dar­an, dass die Fra­ge, ob ein Wei­ter­be­schäf­ti­gungs­an­spruch be­steht, so rasch als mög­lich ge­klärt wird, denn Wei­ter­be­schäf­ti­gungs­an­spruch be­deu­tet Lohn­an­spruch, was wie­der­um be­deu­tet, dass der Ar­beit­neh­me­rin bei Gut­heis­sung des Re­kur­ses der Lohn rück­wir­kend zu be­zah­len ist.

Über den Autor/die Autorin

Mirjam Barmet

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