Privater Lästerchat kein Grund für fristlose Kündigung

Ein neue­res Ur­teil des Ober­ge­richts Zü­rich be­fasst sich mit ei­ner heik­len Fra­ge im Schnitt­be­reich Ar­beits­recht und Da­ten­schutz. Das Ober­ge­richt be­stä­tigt dar­in ein Ur­teil der Vor­in­stanz, wo­nach die Ver­wer­tung ei­ner pri­va­ten ehr­ver­let­zen­den Chat­kor­re­spon­denz auf dem Ge­schäfts­han­dy ei­ner Mit­ar­bei­te­rin zur Be­grün­dung ei­ner frist­lo­sen Kün­di­gung der­sel­ben un­zu­läs­sig ist. 

Abs­tract: Da­ten­be­ar­bei­tun­gen im Ar­beits­ver­hält­nis sind grund­sätz­lich un­zu­läs­sig, es sei denn, sie sind durch den Be­zug zur Eig­nung des Ar­beit­neh­mers oder zur Durch­füh­rung des Ar­beits­ver­tra­ges ge­recht­fer­tigt. Die Durch­sicht pri­va­ter Kor­re­spon­denz stellt ei­ne Da­ten­be­ar­bei­tung dar, wel­che die­sen An­for­de­run­gen nicht ge­nügt. Dem be­rech­tig­ten In­ter­es­se der Ar­beit­ge­be­rin, zu über­prü­fen, ob ein Ge­schäfts­han­dy wei­sungs­wid­rig für pri­va­te Zwe­cke be­nutzt wird, kann oh­ne Kon­trol­le des In­halts der pri­va­ten Kor­re­spon­denz Nachach­tung ver­schafft wer­den, wes­halb das Vor­ge­hen der Ar­beit­ge­be­rin vor­lie­gend un­zu­läs­sig war.

Der Entscheid

In ei­nem neue­ren Ent­scheid (LA180031‑O/U vom 20. März 2019) hat­te das Ober­ge­richt Zü­rich über die Recht­mäs­sig­keit ei­ner frist­lo­sen Kün­di­gung zu be­fin­den, wel­che von der Ar­beit­ge­be­rin im Ju­ni 2017 aus­ge­spro­chen wor­den war. Im Mit­tel­punkt stan­den Vor­wür­fe, wo­nach die Ar­beit­neh­me­rin sich mit ei­ner Kol­le­gin im Whats­App-Ver­kehr über de­ren Ge­schäfts­füh­rer ehr­ver­let­zend ge­äus­sert, ih­rer Kol­le­gin Zu­gang zu Ge­schäfts­ge­heim­nis­sen ih­rer Ar­beit­ge­be­rin ver­schafft, zu­sam­men mit die­ser Kol­le­gin ei­ne Mit­ar­bei­te­rin ge­mobbt und über­dies am 19. Ja­nu­ar 2017 ei­ne Krank­heit vor­ge­täuscht ha­ben soll. Die Vor­in­stanz war der Auf­fas­sung, dass sich die Ar­beit­ge­be­rin die Chat-Pro­to­kol­le aus dem Whats­App-Ver­kehr, auf die sich die Vor­wür­fe stütz­ten und wel­che bei ei­ner rou­ti­ne­mäs­si­gen Kon­trol­le des Mit­ar­bei­ter­han­dys ent­deckt wor­den wa­ren, rechts­wid­rig be­schafft ha­be und das In­ter­es­se an der Wahr­heits­fin­dung nicht hö­her zu ge­wich­ten sei als die Ver­let­zung der Ge­heim­sphä­re der Arbeitnehmerin. 


Je­de Be­ar­bei­tung von Da­ten oh­ne ge­nü­gen­den Ar­beits­platz­be­zug ist un­zu­läs­sig.

Das Ober­ge­richt er­wog mit Ver­weis auf die Leh­re, dass der Ar­beit­ge­ber ge­mäss Art. 328b OR Da­ten über den Ar­beit­neh­mer nur be­ar­bei­ten dür­fe, so­weit sie des­sen Eig­nung für das Ar­beits­ver­hält­nis be­tref­fen oder zur Durch­füh­rung des Ar­beits­ver­tra­ges er­for­der­lich sei­en und dass Art. 328b OR lex spe­cia­lis zu den Da­ten­schutz­be­stim­mun­gen im Bun­des­ge­setz über den Da­ten­schutz (DSG) sei. Da­ten­be­ar­bei­tun­gen im Ar­beits­ver­hält­nis sei­en des­halb grund­sätz­lich un­zu­läs­sig, es sei denn, sie sei­en durch den Be­zug zur Eig­nung des Ar­beit­neh­mers oder zur Durch­füh­rung des Ar­beits­ver­tra­ges ge­recht­fer­tigt: «Je­de Be­ar­bei­tung von Da­ten, die kei­nen ge­nü­gen­den Ar­beits­platz­be­zug ha­ben, ist da­mit un­zu­läs­sig». Ge­mäss dem Ober­ge­richt wür­de es sich beim ak­ten­kun­di­gen Chat­ver­kehr um Per­so­nen­da­ten han­deln, die vom Da­ten­schutz­ge­setz er­fasst sind, und durch die Sich­tung, Her­stel­lung von Screen­shots und Zi­tie­rung wä­ren die­se Da­ten von der Ar­beit­ge­be­rin be­ar­bei­tet wor­den. Da­mit blieb die Fra­ge zu prü­fen, ob die­se Da­ten­be­ar­bei­tung für die Durch­füh­rung des Ar­beits­ver­hält­nis­ses er­for­der­lich war. Da die Ar­beit­ge­be­rin ihr Vor­ge­hen nicht da­mit be­grün­det hat­te, ge­schäft­li­che Nach­rich­ten zu über­prü­fen, son­dern um Ge­wiss­heit zu er­lan­gen, dass pri­va­te Nach­rich­ten aus­ge­tauscht wür­den, war ei­ne in­halt­li­che Sich­tung des Chat­ver­laufs von vorn­her­ein nicht zu­läs­sig, da sie zur Durch­füh­rung des Ar­beits­ver­hält­nis­ses nicht er­for­der­lich war. 

Mit Ver­weis auf Art. 4 Abs. 2 DSG er­in­ner­te das Ober­ge­richt aus­ser­dem dar­an, dass die Be­ar­bei­tung von Per­so­nen­da­ten ver­hält­nis­mäs­sig sein müs­se. In Be­zug auf die Aus­wer­tung so­ge­nann­ter Rand­da­ten – d.h. Da­ten wie Dau­er, Zeit­punkt, Ge­büh­ren, be­tei­lig­te An­schlüs­se – be­deu­te dies, dass nur die­je­ni­gen Aus­wer­tun­gen vor­ge­nom­men wer­den dür­fen, wel­che für das Auf­de­cken von Miss­bräu­chen ge­eig­net sind, und dass der Ar­beit­ge­ber da­bei die­je­ni­ge Aus­wer­tungs­form zu wäh­len hat, wel­che den mil­des­ten Ein­griff in die Per­sön­lich­keits­rech­te der Ar­beit­neh­me­rin dar­stellt. Dies wä­re vor­lie­gend nicht der Fall ge­we­sen. Dar­an ver­moch­te auch die In­stal­la­ti­on von Whats­App nichts zu än­dern, ob­wohl dies in­di­zier­te, dass die Ar­beit­neh­me­rin das Ge­schäfts­han­dy tat­säch­lich ent­ge­gen der Be­stim­mung in den An­stel­lungs­be­din­gun­gen für den Aus­tausch pri­va­ter Nach­rich­ten be­nutz­te, da die zwin­gen­den ge­setz­li­chen Be­stim­mun­gen nicht durch ein Mit­ar­bei­ter­re­gle­ment ab­ge­än­dert wer­den können. 

Selbst wenn die Da­ten­be­ar­bei­tung nicht man­gels ge­nü­gen­dem Ar­beits­platz­be­zug von vorn­her­ein un­zu­läs­sig wä­re, wür­de ei­ne In­ter­es­sen­ab­wä­gung er­ge­ben, dass die In­ter­es­sen der Ar­beit­ge­be­rin vor­lie­gend nicht über­wie­gen wür­den. Zwar be­stehe ein be­rech­tig­tes In­ter­es­se dar­an, zu über­prü­fen, ob das Ge­schäfts­han­dy wei­sungs­wid­rig für pri­va­te Zwe­cke be­nutzt wür­de. Die­sem In­ter­es­se wä­re aber durch ei­ne we­ni­ger weit ge­hen­de Kon­trol­le Nachach­tung ver­schafft wor­den. Für ei­ne In­halts­kon­trol­le hät­te ein schutz­wür­di­ges In­ter­es­se ge­fehlt. Das Ober­ge­richt liess die Fra­ge ex­pli­zit of­fen, ob dies an­ders zu be­ur­tei­len wä­re, wenn die Ar­beit­ge­be­rin Hin­wei­se ge­habt hät­te, dass die Ar­beit­neh­me­rin und ih­re Kol­le­gin Whats­App da­zu be­nutz­ten, um sich ne­ga­tiv über den Ge­schäfts­füh­rer zu äus­sern oder Mob­bing ge­gen­über ei­ner Mit­ar­bei­te­rin zu be­trei­ben, da dies nicht An­lass für die Über­prü­fung des Han­dys ge­we­sen war.

Würdigung

Im Er­geb­nis mag es stos­send wir­ken, wenn ei­ne Ar­beit­neh­me­rin trotz schwe­rer Ver­feh­lun­gen ge­gen ele­men­ta­re Pflich­ten des Ar­beits­ver­hält­nis­ses, ge­schützt wird und oben­drauf noch ei­ne Ent­schä­di­gung er­hält. Das Ober­ge­richt be­wer­te­te aber zu Recht nicht die schwe­re und Na­tur der Pflicht­ver­let­zun­gen der Ar­beit­neh­me­rin. Zur Dis­kus­si­on stand die Fra­ge, ob der Ar­beit­ge­ber das Wis­sen, wel­ches er über die­se Pflicht­ver­let­zun­gen er­lang­te, recht­mäs­sig beschaffte. 

Der Ar­beit­ge­ber kann sich mit ei­nem Re­gle­ment nicht über die In­tim­sphä­re sei­ner Mit­ar­bei­ter hinwegsetzen.

Wer­den Mit­ar­bei­ter­han­dys rou­ti­ne­mäs­sig un­ter­sucht, um den Ge­brauch un­er­laub­ter – mög­li­cher­wei­se si­cher­heits­re­le­van­ter – Apps fest­zu­stel­len und ge­ge­be­nen­falls zu un­ter­bin­den, dann be­rech­tigt die­ses Vor­ge­hen nicht da­zu, den In­halt pri­va­ter Kor­re­spon­denz zu über­prü­fen. Be­son­ders schwie­rig zu hal­ten ist die­se Her­an­ge­hens­wei­se, weil es sich zwar schein­bar um ei­nen Zu­falls­fund han­delt, die Fra­ge aber in der Luft liegt, ob nicht ge­ra­de un­ter dem Vor­wand die­ses App-Scree­nings das pri­va­te Ver­hal­ten von Mit­ar­bei­tern un­ter­sucht wer­den soll­te. Stellt ein Ar­beit­ge­ber dem Ar­beit­neh­mer mo­bi­le De­vices zur Ver­fü­gung, dann kann er sich nicht mit ei­nem um­fas­sen­den Ge­brauchs­re­gle­ment über die Pri­vat- und In­tim­sphä­re die­ser Mit­ar­bei­ter hin­weg­set­zen und zwar selbst dann nicht, wenn das ent­spre­chen­de Ge­rä­te zu Pri­vat­zwe­cken über­haupt nicht ge­braucht wer­den dürf­te. Tat­säch­lich wur­de die Mit­ar­bei­te­rin im vor­lie­gen­den Fall nicht ent­las­sen, weil sie das Ge­schäfts­han­dy wei­sungs­wid­rig für pri­va­te Chat­kon­ver­sa­tio­nen brauch­te, son­dern weil sie sich in die­sen Chats in ei­ner Art und Wei­se über ih­ren Vor­ge­setz­ten aus­liess, die of­fen­bar ein be­trächt­li­ches Mass an Il­loya­li­tät offenbarte. 

Das Ober­ge­richt liess die Fra­ge of­fen, ob das Vor­ge­hen der Ar­beit­ge­be­rin auch im Ver­dachts­fall un­zu­läs­sig ge­we­sen wä­re. Nach der hier ver­tre­te­nen Auf­fas­sung wä­re sie das im vor­lie­gen­den Fall auch dann. Denn letz­ten En­des han­delt es sich bei der Chat-Kon­ver­sa­ti­on um ei­ne pri­va­te Un­ter­hal­tung zwi­schen zwei Mit­ar­bei­te­rin­nen über ih­ren Vor­ge­setz­ten. Zwar mö­gen die Äus­se­run­gen die Gren­zen des An­stan­des weit über­schrit­ten ha­ben. Aber der Schutz­zweck der Han­dy­durch­su­chung, näm­lich zu ver­hin­dern, dass Si­cher­heits­ri­si­ken ent­ste­hen, wird durch die pri­va­te Läs­te­rei in kei­ner Wei­se tan­giert. Wä­re es al­so zu­läs­sig, bei Ver­dacht auf il­loya­les Ver­hal­ten den pri­va­ten In­halt des Ge­schäfts­han­dys zu durch­su­chen, dann könn­te der­sel­ben Lo­gik fol­gend auch das pri­va­te Han­dy durch­sucht wer­den. Die Ver­su­chung mag frei­lich gross sein, be­son­ders wenn Loya­li­tä­ten auf­grund des ver­gan­ge­nen Ver­hal­tens der be­tref­fen­den Mit­ar­bei­te­rin in Fra­ge ge­stellt wer­den. Die­ser Ver­su­chung nach­zu­ge­ben ver­dient in­des kei­nen Rechts­schutz. Vor­her wä­re in je­dem Fall er­for­der­lich, sich über den kon­kre­ten Ver­dacht Re­chen­schaft ab­zu­le­gen und sich zu fra­gen, wel­che Mit­tel ge­eig­net und ver­hält­nis­mäs­sig wä­ren, die­sen kon­kre­ten Ver­dacht zu be­stä­ti­gen. Her­um­wüh­len bis man auf ein Ver­hal­ten stösst, wel­ches sich mit ei­ner ar­beits­ver­trag­li­chen Pflicht nicht ver­trägt, öff­net Miss­brauch Tür und Tor. 

Kernfrage Privatsphäre

In die­sem Blog wur­de be­reits vor ein paar Mo­na­ten über ei­nen Pra­xis­fall be­rich­tet, an­läss­lich des­sen sich die Fra­ge stell­te, wie im Zeit­al­ter von So­cial Me­dia mit dem Span­nungs­ver­hält­nis zwi­schen Schutz der Pri­vat­sphä­re der Mit­ar­bei­te­rin und Schutz be­rech­tig­ter In­ter­es­sen des Ar­beit­ge­bers um­zu­ge­hen ist (https://personalrechtsblog.ch/2019/02/07/social-media-in-der-freizeit-was-geht-das-die-chefin-an/). Im be­schrie­be­nen Fall hat­te ei­ne an­ge­stell­te Lehr­per­son in­ti­me Bil­der von sich ei­nem grös­se­ren Kreis von In­sta­gram-Fol­lo­wern zur Ver­fü­gung ge­stellt und es stell­te sich die Fra­ge, ob es dem Ar­beit­ge­ber zu­ste­he, dies­be­züg­lich sei­nem Ar­beit­neh­mer Vor­schrif­ten zu ma­chen. Wäh­rend der Ar­beit­neh­mer auf sei­ne Pri­vat­sphä­re je­den­falls in­so­weit ver­zich­te­te, als er die Fo­tos von sich öf­fent­lich mach­te, hat im vor­lie­gen­den Fall die Ar­beit­neh­me­rin dar­auf ver­traut, dass ih­re pri­va­te Kor­re­spon­denz ih­re Pri­vat­sa­che blei­ben wür­de. Im Ge­gen­satz zu Face­book- oder In­sta­gram-Bei­trä­gen fehlt ei­nem Whats­App-Chat zwi­schen zwei Per­so­nen jeg­li­cher Öf­fent­lich­keits­cha­rak­ter. Bei­de Fäl­le ha­ben ge­mein, dass sie greif­bar ma­chen, dass das In­sti­tut Pri­vat­sphä­re heu­te ei­ner viel ak­ti­ve­ren und fort­lau­fen­den Aus­ein­an­der­set­zung zu­gäng­lich sein muss. Im Kern steht die Fra­ge, wo die Li­nie ver­läuft zwi­schen dem, was ein Ar­beit­ge­ber – mit­un­ter auch vor sich selbst – schüt­zen muss, und dem, was ein Ar­beit­neh­mer preis­ge­ben muss bzw. in wel­chen Be­lan­gen er kei­nen Schutz be­an­spru­chen kann. Die bei­den Pra­xis­fäl­le zei­gen auf je un­ter­schied­li­che Wei­se wel­che enor­men Her­aus­for­de­run­gen die­se Tech­no­lo­gien an bei­de Par­tei­en ei­nes Ar­beits­ver­hält­nis­ses stellen. 

Über den Autor/die Autorin

Mirjam Barmet

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