Will eine öffentlich-rechtliche Arbeitgeberin ein Arbeitsverhältnis auflösen, muss sie den Sachverhalt, auf welchen sie sich hierbei stützt, untersucht haben. Welche Anforderungen an das Vorgehen der Arbeitgeberin gestellt werden, hat das Verwaltungsgericht in einem neuen Entscheid anschaulich dargelegt.
Abstract: Will eine öffentlich-rechtliche Arbeitgeberin ein Arbeitsverhältnis auflösen, muss sie die Gründe, welche zur Kündigung Anlass geben, beweisen, weshalb sie den Sachverhalt im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes gründlich abklären muss. Bleiben Zweifel am vorgeworfenen Verhalten, rechtfertigt sich auch keine ordentliche Kündigung. Daran vermag der Umstand nichts zu ändern, dass der betreffende Mitarbeiter wegen ähnlichem Verhalten in der Vergangenheit bereits verwarnt wurde.
Der Entscheid
Das Verwaltungsgericht hat einem Tramchauffeur im Rechtsmittelverfahren einen Weiterbeschäftigungsanspruch zuerkannt, nachdem es zum Schluss gekommen war, dass sowohl die fristlose als auch eine ordentliche Kündigung aufgrund der zu beurteilenden Konstellation nicht gerechtfertigt waren. Nur auf den ersten Blick hat es damit seine Rechtsprechung, wonach ungerechtfertigte Kündigungen nichtig sind, weshalb das Arbeitsverhältnis nicht endet, fortgeführt (hier diskutiert). Tatsächlich war das Anerkennen des Weiterbeschäftigungsanspruchs das Ergebnis einer nicht zu beanstandenden Auslegung des anwendbaren Personalrechts der Stadt Zürich. Das kommunale Personalrecht sieht für ungerechtfertigte ordentliche Entlassungen in erster Linie die Weiterbeschäftigung und nur in Ausnahmefällen eine Entschädigung vor. Das Verwaltungsgericht kam im Rahmen seiner Auslegung zum Schluss, dies müsse ebenso für ungerechtfertigte fristlose Kündigungen gelten, wenngleich der reine Gesetzeswortlaut einen anderen Schluss zuliesse (Erw. 5.2 ff.). Neben dieser jedenfalls für Verwaltungsrechtler schön zu lesenden Auslegung der massgebenden Bestimmungen enthält der Entscheid ausserdem lesenswerte Ausführungen zur Streitwertberechnung bei personalrechtlichen Verfahren und zum Streitgenstand. Nachfolgend interessiert indes vor allem was das Verwaltungsgericht zur Sachverhaltsfeststellung der Arbeitgeberin zu sagen hatte, denn dies war Dreh- und Angelpunkt des Entscheids VB.2018.00807 vom 9. Januar 2020.
Dem Entscheid lag im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde: Die VBZ löste das Arbeitsverhältnis mit einem Tramchauffeur fristlos auf, nachdem dieser gemäss Aussage eines Fahrgastes, während der Fahrt mit dem Mobiltelefon hantiert hatte. Der Tramchauffeur habe dabei mit der einen Hand sein Handy gehalten, mit der anderen das Tram bedient und habe dabei nicht auf die Strasse, sondern auf sein Mobiltelefon geschaut. Nachdem die VBZ den vermeintlichen Zeugen zu seinen gemachten Wahrnehmungen hatte befragen können, hat man den Tramchauffeur im Rahmen des rechtlichen Gehörs zur beabsichtigten fristlosen Kündigung mündlich Stellung nehmen lassen. Dieser hat bei dieser Befragung, und während des gesamten Rechtsmittelverfahrens, das folgen sollte, in Abrede gestellt, am besagten Tag während der Fahrt sein Mobiltelefon bedient zu haben. Die VBZ kam zum Schluss, durch die Befragung hätten sich keine neuen Fakten ergeben und der Mitarbeiter habe durch sein Verhalten das Vertrauensverhältnis grundlegend zerstört, weshalb das Anstellungsverhältnis fristlos aufgelöst werde.
Nachdem die Vorinstanz, der Bezirksrat, die fristlose Kündigung als unberechtigt angesehen hatte, da das Benutzen des Handys in der Führerkabine keine schwere Verletzung der arbeitnehmerseitigen Pflichten dargestellt hätte, eine ordentliche Kündigung aber als verhältnismässig ansah, sprach es dem Tramchauffeur den Lohn für die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist und eine Entschädigung wegen der ungerechtfertigten fristlosen Kündigung in Höhe von zwei Monatslöhnen zu. Den Sachverhalt, auf den sich die VBZ bei ihrer Kündigung gestützt hatte, sah der Bezirksrat indes als erstellt an. Das Verwaltungsgericht konnte dieser Auffassung nicht folgen.
Es erinnerte zunächst an den im Verwaltungsverfahren geltenden Untersuchungsgrundsatz, der von der rechtsanwendenden Behörde verlange, dass diese im Rahmen der Sachverhaltsermittlung nach der materiellen Wahrheit bzw. nach der wirklichen Sachlage forsche und sich nur auf Sachumstände stütze, von deren Vorhandensein sie sich überzeugt habe. Die VBZ hätten demnach – vorgängig zur Aussprache der fristlosen Kündigung – die dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Verfehlungen in geeigneter Weise erstellen oder zumindest alle zumutbaren Abklärungen vornehmen müssen. Die Arbeitgeberin müsse beweisen, dass die Vorwürfe zutreffen, das heisst, dass der Tramchauffeur tatsächlich während der Fahrt mit dem Mobiltelefon hantierte. Das Regelbeweismass der vollen Überzeugung, wonach ein Beweis dann als erbracht gilt, wenn die Entscheidinstanz nach objektiven Gesichtspunkten von der Richtigkeit eines Sachverhaltselements überzeugt ist, gelte auch hier. Nur bei Beweisnot lasse die Praxis das Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit genügen.
Würdigung
Bereits im letzten Beitrag auf diesem Blog wurde ein aktueller Verwaltungsgerichtsentscheid betreffend eine fristlose Kündigung besprochen. Während Dreh- und Angelpunkt dieses Entscheids die Frage war, ob eine Urkundenfälschung einen zureichenden Grund für eine fristlose Kündigung setze, geht es im vorliegenden Entscheid darum, dass der Sachverhalt, welcher der fristlosen Kündigung zugrunde liegt, nicht rechtsgenügsam abgeklärt wurde. Dies ist ein bedeutsamer, und wie der Entscheid ebenfalls zeigt, keineswegs nur dogmatischer Unterschied.
Ist der Sachverhalt, welcher den Arbeitgeber zur Massnahme veranlasst, nicht nach dem Regelbeweismass der vollen Überzeugung erstellt, so lassen sich keinerlei Konsequenzen für das Arbeitsverhältnis ableiten. Folgerichtig hat das Verwaltungsgericht auch den Entscheid der Vorinstanz aufgehoben, welche die fristlose Kündigung für unbegründet hielt, die Voraussetzungen für eine ordentliche Kündigung indes als gegeben angesehen haben wollte. Tatsächlich war nicht die Frage – wie es noch die Vorinstanz meinte – ob der Gebrauch des Handys eine fristlose Kündigung rechtfertige. Es war schlicht nicht rechtsgenügsam erstellt worden, dass es der fragliche Mitarbeiter war, welcher in der Führerkabine vom Zeugen gesehen worden war.
Die ordentliche Kündigung ist nicht die nette kleine Schwester der fristlosen.
Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass der betreffende Mitarbeiter vorher wegen ähnlicher Verstösse verwarnt worden war. Hierin liegt eine in der Praxis oft beobachtete Stolperfalle. Je häufiger Schwierigkeiten mit einer bestimmten Mitarbeiterin sind, desto weniger Sorgfalt wird darauf verwendet, diese sauber abzuklären und zu dokumentieren. Der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht haben soll, wird aber regelmässig Gegenstand eines Prozesses. Um das Prozessrisiko zu minimieren wird dann ordentlich gekündigt und freigestellt. Das Problem dabei ist, wie der vorliegende Entscheid eindrücklich zeigt: Die ordentliche Kündigung ist nur scheinbar die nette kleine Schwester der fristlosen Kündigung. Ein unbewiesener Vorwurf der schweren Pflichtverletzung rechtfertigt auch keine ordentliche Kündigung, nur weil aufgrund des Verhaltens des Mitarbeiters in der Vergangenheit die Möglichkeit besteht, dass der Vorwurf, der nicht bewiesen werden kann, tatsächlich zutrifft. Ist der Sachverhalt, welcher der Kündigung zugrunde gelegt wird, nicht zureichend abgeklärt, darf eine Behörde nicht darauf abstellen, ganz egal, welche Konsequenzen sie aus diesem Sachverhalt ableitet. Aus diesem Grund sei hier an ein paar Grundsätze erinnert, die nicht neu sind, aber deshalb nicht minder wichtig:
- Will eine öffentlich-rechtliche Arbeitgeberin ein Arbeitsverhältnis auflösen, muss sie die Gründe, welche zur Kündigung Anlass geben, beweisen.
- Der Untersuchungsgrundsatz stellt hohe Anforderungen an das Vorgehen bei der Sachverhaltsermittlung, wenn eine öffentlich-rechtliche Arbeitgeberin eine (fristlose) Kündigung aussprechen will.
- Früheres Fehlverhalten berechtigt nicht ohne Weiteres zur Kündigung. Ob früheres Verhalten berücksichtigt werden kann, hängt vom konkreten Einzelfall ab.
Dies bedeutet auch, dass sich eine öffentlich-rechtliche Arbeitgeberin darüber Rechenschaft ablegen muss, wo Unschärfen bestehen. Ist der Sachverhalt nicht klar, ist eine fristlose Kündigung ebenso ungerechtfertigt wie jede andere personalrechtliche Massnahme es wäre. Ist die Frage unklar, ob die bewiesene Pflichtverletzung die Schwere aufweist, um einer Verhältnismässigkeitsprüfung standzuhalten, ist das Prozessrisiko grundsätzlich ein anderes. Dies nach der hier vertretenen Meinung nicht nur in Fällen, wo das anwendbare Personalrecht einen Weiterbeschäftigungsanspruch vorsieht. Aufgrund der jüngeren Tendenz des Verwaltungsgerichts, Kündigungen unter Umständen für nichtig zu erklären, wenn sie ohne Grund bzw. aufgrund nicht rechtmässig erlangter Beweise erfolgt sind, besteht das Risiko, dass das Verwaltungsgericht auf eine Weiterbeschäftigung erkennt, latent bei allen Kündigungen, bei denen der Sachverhalt alles andere als niet- und nagelfest ist.