Kündigung ohne Bewährungsfrist – neuer Entscheid lässt Fragen offen

Ein neue­rer Ent­scheid des Ver­wal­tungs­ge­richts Zü­rich be­fasst sich mit den Vor­aus­set­zun­gen ei­ner zu­läs­si­gen Kün­di­gung ei­nes öf­fent­lich-recht­li­chen An­stel­lungs­ver­hält­nis­ses, oh­ne vor­he­ri­ge An­ord­nung ei­ner Be­wäh­rungs­frist. Der Ent­scheid ver­deut­licht den Aus­nah­me­cha­rak­ter der Kün­di­gung oh­ne Be­wäh­rungs­frist, zeigt aber auch deut­lich auf, dass und wo ein Spiel­raum für die öf­fent­lich-recht­li­che Ar­beit­ge­be­rin be­steht, auf das In­sti­tut der Be­wäh­rungs­frist zu ver­zich­ten. Die­se Mög­lich­kei­ten zur Aus­nah­me sind nicht zu­letzt auch für die Ar­beit­neh­me­rin­nen und Ar­beit­neh­mer wichtig.

Abs­tract: Die Pflicht, An­ge­stell­ten bei Leis­tungs- oder Ver­hal­tens­män­geln vor der Kün­di­gung grund­sätz­lich ei­ne Be­wäh­rungs­mög­lich­keit ein­zu­räu­men, ist Aus­fluss des Will­kür­ver­bots und des Ver­hält­nis­mäs­sig­keits­prin­zips und be­ruht auf dem Um­stand, dass ei­ne Leis­tungs­ver­bes­se­rung oder Ver­hal­tens­än­de­rung in der Re­gel ei­ner ge­wis­sen Zeit be­darf. Im be­tref­fen­den Fall lag die Pflicht­ver­let­zung in­des im un­ent­schul­dig­ten Fern­blei­ben vom Ar­beits­platz wäh­rend fünf Wo­chen nach Ur­laubsen­de. In ei­nem sol­chen Fall ist ei­ne Be­wäh­rungs­frist we­der ge­eig­net noch er­for­der­lich, um das vom Ar­beit­neh­mer er­war­te­te Ver­hal­ten zu fes­ti­gen bzw. die ge­for­der­te Leis­tung auf­zu­bau­en. Dem Ver­hält­nis­mäs­sig­keits­prin­zip ist des­halb Ge­nü­ge ge­tan, wenn der An­ge­stell­te vor dem Aus­spre­chen der Kün­di­gung in ge­eig­ne­ter Wei­se er­mahnt wor­den ist.

Der Entscheid

Das Ver­wal­tungs­ge­richt Zü­rich hat­te im Ent­scheid VB.2020.00164 vom 9. Ju­li 2020 den nach­fol­gen­den Sach­ver­halt zu be­ur­tei­len. Ei­nem seit 2007 für die Kan­tons­po­li­zei im Stun­den­lohn tä­ti­gen Mit­ar­bei­ter wur­de am 18. Ok­to­ber 2019 per En­de April 2020 ge­kün­digt, oh­ne dass ihm zu­vor ei­ne Be­wäh­rungs­frist ein­ge­räumt wor­den war.

Hin­ter­grund der Kün­di­gung war der Um­stand, dass dem be­tref­fen­den Mit­ar­bei­ter vom 18. März bis 6. Mai 2019 un­be­zahl­ter Ur­laub ge­währt wor­den war, die­ser aber erst am 14. Ju­ni 2019 wie­der an sei­nen Ar­beits­platz zu­rück­kehr­te, oh­ne sich bis zu die­sem Zeit­punkt mit der Ar­beit­ge­be­rin in Ver­bin­dung ge­setzt zu ha­ben. Dies, ob­wohl die Par­tei­en zu­sätz­lich zum Rück­kehr­da­tum An­fang Mai 2019 ex­pli­zit ver­ein­bart hat­ten, dass der Mit­ar­bei­ter in der Peak­zeit von Ju­ni bis Au­gust 2019 zu ar­bei­ten hätte.

Ge­gen die Kün­di­gung er­hob der Mit­ar­bei­ter zu­nächst Re­kurs, nach des­sen Ab­wei­sung Be­schwer­de beim Ver­wal­tungs­ge­richt Zü­rich. Als Be­grün­dung führ­te er an, ihm sei zu Un­recht kei­ne Be­wäh­rungs­frist ein­ge­räumt wor­den bzw. es hät­te die für den Ver­zicht auf ei­ne Be­wäh­rungs­frist not­wen­di­gen Zu­stim­mung der Di­rek­ti­on ge­fehlt. § 19 Abs. 1 des Per­so­nal­ge­set­zes (PG) sieht vor, dass der oder dem An­ge­stell­ten ei­ne an­ge­mes­se­ne Be­wäh­rungs­frist von längs­tens sechs Mo­na­ten ein­zu­räu­men sei, be­vor die An­stel­lungs­be­hör­de ei­ne Kün­di­gung auf­grund man­geln­der Leis­tung oder un­be­frie­di­gen­den Ver­hal­tens aus­spricht. Und wei­ter: «Von ei­ner Be­wäh­rungs­frist kann aus­nahms­wei­se ab­ge­se­hen wer­den, wenn fest­steht, dass sie ih­ren Zweck nicht er­fül­len kann». Das Ver­wal­tungs­ge­richt kam zwar ei­ner­seits zum Schluss, dass vor­lie­gend tat­säch­lich die Di­rek­ti­on die für den Ver­zicht auf ei­ne Be­wäh­rungs­frist nö­ti­ge In­stanz ge­we­sen wä­re, an­der­seits sah es aber gark­ei­nen An­wen­dungs­fall von § 19 Abs. 1 PG vorliegen.

Mit Ver­weis auf sei­ne Recht­spre­chung be­grün­de­te das Ver­wal­tungs­ge­richt das In­sti­tut der Be­wäh­rungs­frist mit dem Ver­hält­nis­mäs­sig­keits­prin­zip und dem Will­kür­ver­bot. Dass bei Leis­tungs- oder Ver­hal­tens­män­geln grund­sätz­lich ei­ne Be­wäh­rungs­frist an­zu­set­zen sei, be­ru­he auf dem Um­stand, dass ei­ne Leis­tungs­ver­bes­se­rung oder Ver­hal­tens­än­de­rung in der Re­gel ei­ner ge­wis­sen Zeit be­dür­fe und des­halb nicht so­fort er­war­tet wer­den könne.

Hier wer­de dem Mit­ar­bei­ter in­des vor­ge­wor­fen, die­ser sei nach sei­nem un­be­zahl­ten Ur­laub nicht wie ver­ein­bart am 7. Mai 2019, son­dern erst am 14. Ju­ni 2019 am Ar­beits­platz er­schie­nen, oh­ne sich wäh­rend die­ser Zeit je bei der Ar­beit­ge­be­rin ge­mel­det zu ha­ben. Mit­hin be­stehe die Pflicht­ver­let­zung im un­ent­schul­dig­ten Fern­blei­ben vom Ar­beits­platz. In ei­ner sol­chen Kon­stel­la­ti­on sei kein An­wen­dungs­fall von § 19 Abs. 1 PG zu er­bli­cken, er­schei­ne doch ei­ne Be­wäh­rungs­frist we­der nö­tig noch ge­eig­net, um das von der oder dem Ar­beit­neh­men­den er­war­te­te Ver­hal­ten zu fes­ti­gen bzw. die ge­for­der­te Leis­tung auf­zu­bau­en. Viel­mehr sei in der­ar­ti­gen Fäl­len – so­weit das Fehl­ver­hal­ten den Ar­beit­ge­ber bzw. die Ar­beit­ge­be­rin nicht oh­ne­hin zur frist­lo­sen Kün­di­gung oh­ne vor­gän­gi­ge Ab­mah­nung be­rech­ti­ge – dem Ver­hält­nis­mäs­sig­keits­grund­satz Ge­nü­ge ge­tan, wenn der oder die An­ge­stell­te vor der Kün­di­gung in ge­eig­ne­ter Wei­se vom Ar­beit­ge­ber bzw. der Ar­beit­ge­be­rin er­mahnt wor­den sei. Ent­spre­chend ha­be es hier je­den­falls kei­ner Ein­wil­li­gung der Di­rek­ti­on be­durft, um auf ei­ne Be­wäh­rungs­frist zu verzichten.

Mit sei­nem un­ent­schul­dig­ten Fern­blei­ben ha­be der Be­schwer­de­füh­rer sich of­fen­kun­dig pflicht­wid­rig ver­hal­ten, ins­be­son­de­re auch weil die von ihm nach­träg­lich ge­nann­ten Grün­de für sein Fern­blei­ben un­be­legt blie­ben und we­nig glaub­haft scheinen. 

Hin­zu kam, dass der Mit­ar­bei­ter be­reits an­läss­lich ei­ner Mit­ar­bei­ter­be­ur­tei­lung im Au­gust 2016 er­mahnt wor­den war, nach­dem er sich trotz ab­ge­lehn­tem Ur­laubs­ge­such für län­ge­re Zeit im Aus­land auf­ge­hal­ten und ei­nen Ge­sprächs­ter­min ver­passt hat­te. Auch wenn ihm – so das Ver­wal­tungs­ge­richt – für den Fall ei­ner Wi­der­hand­lung nicht aus­drück­lich mit der Kün­di­gung ge­droht wor­den war, muss­te dem Be­schwer­de­füh­rer auf­grund der Ge­samt­um­stän­de klar sein, dass sein un­ent­schul­dig­tes Nicht­er­schei­nen am 7. Mai 2019 per­so­nal­recht­li­che Kon­se­quen­zen nach sich zie­hen würde.

Aus all die­sen Um­stän­den fol­ger­te das Ver­wal­tungs­ge­richt: «Es ist of­fen­kun­dig, dass die Wei­ter­be­schäf­ti­gung ei­nes der­art un­zu­ver­läs­si­gen Mit­ar­bei­ters nicht zu­mut­bar ist, wes­halb dem Be­schwer­de­geg­ner auch die frist­lo­se Kün­di­gung des An­stel­lungs­ver­hält­nis­ses ge­mäss § 22 PG of­fen­ge­stan­den hät­te. Um­so mehr er­weist sich die or­dent­li­che Kün­di­gung hier als rechtmässig».

Würdigung

Der Ver­zicht auf das An­ord­nen ei­ner Be­wäh­rungs­frist ist vom Ge­setz­ge­ber vor­ge­se­hen, wenn die Be­wäh­rungs­frist ih­ren Zweck nicht er­fül­len kann, et­wa weil ei­ne Ver­bes­se­rung der Leis­tung bzw. des Ver­hal­tens schlicht nicht mög­lich er­scheint, oder die be­tref­fen­de Mit­ar­bei­te­rin klar zum Aus­druck ge­bracht hat, dass sie die Ver­bes­se­rung nicht will. Vor­lie­gend – da ist dem Ver­wal­tungs­ge­richt zu­zu­stim­men – wä­re ei­ne Be­wäh­rungs­frist we­der nö­tig noch ge­eig­net ge­we­sen, um das ge­for­der­te Ver­hal­ten zu fes­ti­gen bzw. die ge­for­der­te Leis­tung auf­zu­bau­en. Dies ist aber – ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Ver­wal­tungs­ge­richts – kein Grund § 19 Abs. 1 PG die An­wen­dung zu ver­sa­gen. Viel­mehr stellt der dar­ge­stell­te Sach­ver­halt ei­nen An­wen­dungs­fall von § 19 Abs. 1 PG dar, da sich der Ver­zicht auf die An­ord­nung recht­fer­tigt, weil die Be­wäh­rungs­frist ih­ren Zweck eben nicht er­fül­len kann. Es gibt nur ent­we­der die An­ord­nung der Be­wäh­rungs­frist oder den – wenn auch im­pli­zi­ten – Ver­zicht dar­auf; ei­ne an­de­re Mög­lich­keit gibt es nicht. Das Ver­wal­tungs­ge­richt hät­te nach der hier ver­tre­te­nen Auf­fas­sung die Kün­di­gung den­noch stüt­zen kön­nen, ob­wohl die für den Ver­zicht zu­stän­di­ge Stel­le nicht kon­sul­tiert wor­den war, et­wa mit Ver­weis auf das Rechtmissbrauchsverbot.

Wie der ak­tu­el­le Ent­scheid in die an sich stren­ge Pra­xis des Ver­wal­tungs­ge­richts be­züg­lich Be­wäh­rungs­frist passt, ist schwer zu be­ur­tei­len. Es scheint je­den­falls, dass ins­be­son­de­re, weil ei­ne frist­lo­se Kün­di­gung in den Au­gen des Ver­wal­tungs­ge­richts eben­falls zu­läs­sig ge­we­sen wä­re, die Be­wäh­rungs­frist als klar un­nö­tig be­ur­teilt wur­de. Für die Fra­ge, un­ter wel­chen tat­säch­li­chen Ge­ge­ben­hei­ten die öf­fent­lich-recht­li­che Ar­beit­ge­be­rin auf das An­ord­nen ei­ner Be­wäh­rungs­frist ver­zich­ten kann, ist da­mit nicht viel gesagt.

Be­reits im Blog­bei­trag «Be­wäh­rungs­frist im öf­fent­li­chen Ar­beits­ver­hält­nis» wur­de an die­ser Stel­le Kri­tik an der stren­gen Hand­ha­bung der Aus­nah­me­norm ge­äus­sert. Der Ver­zicht auf die Be­wäh­rungs­frist soll­te li­be­ra­ler an­ge­wen­det wer­den, weil die Be­wäh­rungs­frist in der Pra­xis oft ein­zig aus Form­grün­den ge­währt wird. Aus die­sem Grund wird öf­fent­lich-recht­li­chen Ar­beit­ge­be­rin­nen ge­ra­ten, sich – wenn im­mer mög­lich – früh und gründ­lich über Un­zu­läng­lich­kei­ten ih­rer Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter Re­chen­schaft ab­zu­le­gen und den in al­ler Re­gel er­for­der­li­chen Be­wäh­rungs­pro­zess zu ei­nem Zeit­punkt ein­zu­lei­ten, da er sei­nen vom Ge­setz­ge­ber an­ge­dach­ten Zweck – näm­lich die ech­te Chan­ce auf Ver­bes­se­rung des Ver­hal­tens bzw. der Leis­tung – er­fül­len kann. Hier­zu sei auf die Pra­xis­tipps im Bei­trag «Be­wäh­rungs­frist im öf­fent­li­chen Ar­beits­ver­hält­nis» ver­wie­sen.

Über den Autor/die Autorin

Mirjam Barmet

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